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Cicero 10 Jahre (Vorschau)

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SALON<br />

Debatte<br />

AM ANFANG<br />

WAR DER RAUB<br />

Die Fälle Gurlitt und<br />

Welfenschatz richten ein grelles<br />

Licht auf die Zukunft<br />

der Museen: Droht eine<br />

Privatisierung aller Kunst?<br />

Von BEAT WYSS<br />

Der Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt hat Anfang<br />

April eine „Verfahrensvereinbarung“ mit der Bundesrepublik<br />

Deutschland und dem Freistaat Bayern<br />

unterzeichnet. Ein internationales Expertenteam<br />

wird nun alle 1280 Bilder seiner Sammlung<br />

untersuchen. Raubkunst soll ermittelt und an die Geschädigten<br />

zurückgegeben werden. Dazu war Gurlitt rechtlich nicht<br />

gezwungen, allfällige Straftatbestände sind verjährt.<br />

Auch die Washingtoner Erklärung trifft auf Gurlitt als Privatperson<br />

nicht zu. Das Abkommen vom Dezember 1998 über<br />

geraubte Vermögenswerte aus der Zeit zwischen 1933 und 1945<br />

wurde von 45 Staaten und zwölf nichtstaatlichen Organisationen<br />

getroffen. Darin kommen die Unterzeichner überein, beschlagnahmte<br />

Kunstwerke aus jener Zeit zu identifizieren und<br />

in einem zentralen Register offenzulegen. Die formulierten<br />

Grundsätze beschränken sich auf eine moralische Verpflichtung<br />

zwischen den unterzeichnenden Staaten und Organisationen.<br />

Deren Forderung nach „fairen und gerechten Lösungen“<br />

lässt großen Verhandlungsspielraum offen.<br />

Auch in den Debatten um Raub- und Beutekunst gilt: Wer<br />

die Zukunft entwerfen will, kommt an einer Analyse der Vergangenheit<br />

nicht vorbei. Die Museen Europas entstanden vor<br />

dem Hintergrund revolutionärer Umwälzungen und der kriegerischen<br />

Neuordnung Europas in napoleonischer Zeit. Erst die<br />

Gewalt gegen überlieferte Bindungen konnte jene Objekte freisetzen,<br />

die über einen grauen Markt in den Museen landeten.<br />

Zuerst und am radikalsten geschah dies in Paris, wo der<br />

Louvre, die ehemalige Stadtresidenz des Königs, am 23. Juli<br />

1793, sechs Monate nach der Hinrichtung von Ludwig XVI.,<br />

per Dekret zum „Musée central des arts“ erklärt wurde. Das<br />

übrige Europa des 19. Jahrhunderts blieb monarchisch regiert<br />

und begnügte sich damit, die fürstlichen Sammlungen in eine<br />

öffentliche Institution der Volksbildung umzuwidmen.<br />

Während eines kurzen Jahrhunderts also festigte sich die<br />

Institution Museum als Schatzhaus des Nationalstaats. Über<br />

die oft ungeklärten Herkünfte seines Bestands wuchs der Efeu.<br />

Das Museum war die Kathedrale der Bürgerlichkeit, für die sich<br />

Mäzene verdient machen wollten. In Berlin taten sich jüdische<br />

Mitbürger durch großzügige Schenkungen und Leihgaben hervor:<br />

James Simon, Mitbegründer der Deutschen Orient-Gesellschaft<br />

und Stifter der Porträtbüste von Nofretete; Eduard Arnhold,<br />

Stifter der Villa Massimo in Rom; Oscar Huldschinsky,<br />

Gründungsmitglied des Kaiser-Friedrich-Museumsvereins. Die<br />

Juden waren das Rückgrat des Bildungsbürgertums.<br />

Naziideologie ist ein Frontalangriff auf bürgerliche Werte.<br />

Das erklärt die besonders zynische Konsequenz, mit der das<br />

jüdische Eigentum durch das Regime geplündert wurde: über<br />

Zwangssteuern, erzwungene Veräußerungen, entschädigungslose<br />

Beschlagnahmung bis zur physischen Ausmerzung der Eigentümer.<br />

Ebenso konsequent sind die Nationalsozialisten die<br />

Totengräber des Museums, dessen universalistisches Konzept sie<br />

mit Rassenpropaganda bekämpften. In Razzien wurden öffentliche<br />

Sammlungen auf klassische Moderne hin durchforstet und<br />

deren Beschlagnahmung durch das „Gesetz über die Einziehung<br />

von Erzeugnissen entarteter Kunst“ vom 31. Mai 1938 abgesichert.<br />

Insgesamt betraf die Maßnahme rund 20 000 Werke aus<br />

<strong>10</strong>1 Museen. Vier Kunsthändler wurden mit dem Verkauf zwecks<br />

Devisenbeschaffung beauftragt: Karl Buchholz, Ferdinand Möller,<br />

Bernhard A. Böhmer und Hildebrand Gurlitt. Die von den<br />

„Kunstwäschern“ für unverwertbar erklärten Werke wurden am<br />

20. März 1939 im Hof der Berliner Hauptfeuerwache verbrannt.<br />

An der konfiszierten Kunst bediente sich die Führungsriege,<br />

zuvorderst Adolf Hitler. Mit einem monumentalen Führermuseum<br />

in Linz gedachte er, sich in der Stadt seiner Jugend<br />

monumental zu verewigen. Hermann Göring wollte mit „Carinhall“<br />

in der brandenburgischen Schorfheide seiner verstorbenen<br />

ersten Frau ein museales Denkmal setzen. So wird das<br />

Ende einer Institution im Geist bürgerlicher Bildung eingeläutet.<br />

Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor wurde 1806<br />

von Napoleon geraubt. Sie kehrte 1814 zurück<br />

Foto: Gerd Schütz/AKG Images<br />

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<strong>Cicero</strong> – 5. 2014

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