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Cicero 10 Jahre (Vorschau)

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Foto: Sebastian Hänel für <strong>Cicero</strong><br />

Annektierung des Buffets. Beim Empfang im<br />

Spiegelsaal der russischen Botschaft in Berlin sichern<br />

sich die Gäste Lachs, Pelmeni und andere Leckereien<br />

Ein Rundgang mutet wie ein Museumsbesuch an,<br />

alles prunkt pompös und wirkt doch etwas angestaubt.<br />

Das Leben findet in den schlichten Häuserblocks hinter<br />

der glänzenden Fassade statt, Büros, Wohnungen für<br />

500 Menschen – Diplomaten, Techniker, Mitarbeiter<br />

der Handelsvertretung mit ihren Familien haben eine<br />

Schule, Kindergarten und Sportstätten. Kleinrussland<br />

unter den Linden. Der Botschafter bewohnt eine Villa<br />

im vornehmen Stadtteil Dahlem.<br />

Einst war die Botschaft eine Partyhochburg. Eine<br />

wilde Zeit, 2004 bis 20<strong>10</strong>, die <strong>Jahre</strong> der Kotenevs. Das<br />

Botschafterpaar brachte das Gebäude zum Schwingen.<br />

Hinter ihren Einladungen verblassten die Empfänge<br />

anderer Botschaften, auch das Hamburger- und Hotdog-Ritual<br />

der Amerikaner zum 4. Juli, dem US-Nationalfeiertag.<br />

Ein Kolumnist der Zeitschrift GQ notierte:<br />

„Die Bälle, die sie gaben, schäumten vor Prunk und<br />

Ausgelassenheit. Sie erzählten die wunderbarsten Märchen,<br />

aber vor allem jenes, dass dieses neue Russland<br />

ein modernes, irgendwie magisches Zarenreich sein<br />

muss.“ Für den Tagesspiegel waren die Kotenevs „ein<br />

Versprechen darauf, was aus Russland werden könnte“.<br />

Und jetzt das, Putins Sündenfall, die Krimannektierung,<br />

Sanktionen, Krisenstimmung. „Der Botschafter<br />

ist um diese Situation nicht zu beneiden“, stellt<br />

Ernst-Jörg von Studnitz an einem Aprilabend in der<br />

Botschafter Grinin sitzt in<br />

seiner Ledergarnitur. Er sagt:<br />

„So viel Beleidigung habe ich<br />

noch nie gesehen, nicht mal<br />

im Kalten Krieg“<br />

Botschaft fest. Er erinnert sich an sein eigenes Dilemma,<br />

als er als deutscher Botschafter in Moskau<br />

Berlins Rolle im Kosovokonflikt verteidigen musste.<br />

Am Morgen haben die Zeitungen von Warnungen<br />

der Nato vor der Gefahr russischer Truppen an der<br />

Grenze zur Ukraine berichtet. Für den Abend hat Botschafter<br />

Wladimir M. Grinin, Nachfolger Kotenevs, zu<br />

einem Konzert mit jungen Solisten des Bolschoi-Theaters<br />

eingeladen. Grinin begrüßt die Gäste im Ballsaal<br />

und verspricht ein „Musikfest“. Kein Wort zur Politik.<br />

Der 400 Gäste fassende Saal ist gut gefüllt, aber:<br />

„Haben Sie Politiker gesehen?“, fragt Michael Glos,<br />

der ehemalige Bundeswirtschaftsminister. Zu sehen<br />

ist keiner, jedenfalls keiner, der aktuell im Amt ist,<br />

auch die sonst üblichen Bundeswehruniformen höherer<br />

deutscher Offiziere fehlen. „Eigentlich schade“, sagt<br />

Glos und stellt sich in seiner neuen Funktion als politischer<br />

Beirat des Verbands russischer Unternehmer<br />

in Deutschland vor. „Ich bin sehr optimistisch, dass<br />

sich das wieder normalisiert“, sagt er über die Beziehungen<br />

zwischen Berlin und Moskau. Glos gibt wieder,<br />

was offenbar alle Gäste glauben wollen, die überwiegend<br />

aus der Wirtschaft kommen. Andrea von Knoop,<br />

Ehrenpräsidentin der deutsch-russischen Außenhandelskammer<br />

in Moskau und seit rund 40 <strong>Jahre</strong>n Kennerin<br />

der Szene, verweist auf die 6200 deutschen Firmen<br />

im Russlandgeschäft: „Die werden Russland alle<br />

treu bleiben.“ Auch in Krisen seien sie immer geblieben.<br />

„Und so wird das auch jetzt sein.“<br />

Die Wirtschaft sponsert den Konzertabend. Tobias<br />

Lüpke von der Beratungsfirma Ernst & Young mit<br />

4000 Leuten in Russland empfiehlt: „Der Gesprächsfaden<br />

darf nicht abreißen.“ Es gehe nicht nur um Menschenrechte,<br />

sagt er unverblümt. „Achtet auf die Arbeitsplätze,<br />

die durch Russland gesichert werden.“<br />

Nach dem Konzert der Empfang, im Spiegelsaal,<br />

das Buffet ist üppig. Pelmeni, also Teigtaschen mit<br />

Fleisch und Sauerrahm, Lachs und Salate. Ein Gericht<br />

heißt „Hering unterm Pelzmantel“. Es gibt Wodka,<br />

aber die meisten Gäste halten sich lieber an den Wein.<br />

Die Grüne Antje Vollmer, wie Glos nicht mehr<br />

im Amt, ärgert sich darüber, dass ihre Partei sich auf<br />

die Seite der Putin-Kritiker geschlagen hat. Deeskalieren<br />

und nicht eskalieren, Feindbilder abbauen, darum<br />

müsse es gehen. „Da habe ich gedacht, da gehst<br />

du hin. Da ich gegen jede Form von Phobie bin, bin ich<br />

auch gegen Russenphobie“, sagt sie. Mit diesen Gästen<br />

kann Grinin zufrieden sein.<br />

Am nächsten Morgen sitzen wir auf der dunkelbraunen<br />

Ledergarnitur, auf der schon Putin Merkel<br />

die Welt erklärt hat. Anders als der quirlige Kotenev<br />

ist Grinin ein eher unscheinbarer Mann. Aber er empört<br />

sich über die deutsche Presse, auch über Berichte<br />

rund um die Olympischen Winterspiele. „So viel Beleidigung<br />

habe ich noch nie gesehen, nicht einmal während<br />

des Kalten Krieges.“ Er spricht von einer „absichtlichen<br />

Dämonisierung“ seines Landes. „Das schürt<br />

Russlandhass“. Das Bild in den Medien stehe im Gegensatz<br />

zu seinen Erlebnissen in Deutschland. „Ich<br />

finde, dass in der deutschen Bevölkerung ein Verständnis<br />

vorhanden ist, die Beziehungen nicht zu ruinieren.“<br />

Beim Konzert am Vorabend haben übrigens auch<br />

die Kotenevs vorbeigeschaut. Sie leben weiter in Berlin.<br />

Beide schütteln Hände, viele der Gäste erinnern sich<br />

an die alten Zeiten. Maria Koteneva will sich auf Vergleiche<br />

zu früher nicht einlassen. Sie lobt die Qualität<br />

der Pelmeni.<br />

WERNER SONNE ist viel in Botschaften rumgekommen.<br />

Er war lange ARD-Korrespondent in Osteuropa und den USA<br />

49<br />

<strong>Cicero</strong> – 5. 2014

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