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Cicero 10 Jahre (Vorschau)

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SALON<br />

Literaturen<br />

Das bewegt mich!<br />

Bindung<br />

die wir in den ersten <strong>Jahre</strong>n des<br />

Lebens entwickeln, gibt uns<br />

psychische Sicherheit, lässt uns<br />

anderen Menschen vertrauen und<br />

macht uns<br />

unabhängig<br />

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Jugendroman<br />

Jeden Tag ein<br />

neues Leben<br />

David Levithan erzählt von<br />

einer Liebesgeschichte im<br />

Ausnahmezustand<br />

Wer gerade 16 <strong>Jahre</strong> alt ist, hat<br />

es nicht leicht – die Zeit der<br />

Identitätsfindung ist für niemanden<br />

ein Zuckerschlecken. Und doch<br />

ist sie nichts im Vergleich zu dem, was<br />

A., die Hauptfigur aus David Levithans<br />

gerade auf Deutsch erschienenem Jugendroman<br />

„Letztendlich sind wir dem<br />

Universum egal“, jeden Tag erlebt. Er –<br />

oder sie? – hat bei der Geburt keinen eigenen<br />

Körper abbekommen, so die verblüffende<br />

Grundidee des preisgekrönten<br />

Autors. Zum 5994sten Mal wacht er zu<br />

Beginn des Buches deshalb in einem<br />

anderen Körper, einem anderen Leben<br />

auf. Schnell kommt er über „Abfragen“<br />

an wesentliche Informationen: Namen,<br />

Geschlecht, Hautfarbe, Ort, Allergien,<br />

Vorgeschichte. Doch dann muss er sich<br />

blitzschnell im konkreten Umfeld und<br />

jeweiligen Gefühlsleben zurechtfinden.<br />

Und das an jedem Tag seines Lebens.<br />

Als Kind wäre er manchmal gern geblieben,<br />

schrie, wenn die Eltern dieses<br />

Tages am Abend das Licht ausmachten.<br />

Denn im Schlaf, das wusste er, verließ er<br />

diese Familie wieder, wachte am nächsten<br />

Tag in einer anderen auf. Inzwischen<br />

hat er sich abgefunden mit seinem außergewöhnlichen<br />

Dasein und versucht, im<br />

Leben der anderen keinen Schaden anzurichten,<br />

auch wenn er sie, wie am ersten<br />

Morgen des Buches, nicht mag. Justin<br />

wird er heute heißen, im Körper eines<br />

ruppigen und egozentrischen Schülers<br />

stecken, in dessen Zimmer mehr Videospiele<br />

als Bücher herumliegen. Solche Typen<br />

kennt er zur Genüge, das wird wohl<br />

kein guter Tag. Doch hier irrt A.: Dieser<br />

Tag wird alles ändern. Denn er trifft<br />

Justins Freundin Rihannon und verliebt<br />

sich in sie.<br />

Hier beginnt eine der ungewöhnlichsten<br />

Liebesgeschichten der Jugendliteratur.<br />

Wie kann ich jemanden wiedersehen,<br />

wenn ich jeden Tag an einem<br />

130<br />

<strong>Cicero</strong> – 5. 2014<br />

anderen Ort aufwache? Wie kann ich<br />

eine Beziehung aufbauen, wenn ich selbst<br />

jeden Tag in einem anderen Körper lebe?<br />

Mal schwarz, mal weiß, mal Junge, mal<br />

Mädchen, mal superattraktiv, mal fettleibig?<br />

Für all dies findet der Autor verblüffende<br />

Antworten. Am überraschendsten<br />

dabei ist, dass A. jenseits aller ständig<br />

wechselnden Äußerlichkeiten als Persönlichkeit<br />

sichtbar und liebenswert wird,<br />

nicht nur für Rihannon, sondern auch für<br />

die Leser. So ist dies Buch ein spannender<br />

und unterhaltsamer Crashkurs in Sachen<br />

Empathie und Toleranz. A. ist es egal, ob<br />

er schwul oder hetero ist, männlich oder<br />

weiblich, arm oder reich. Da er das alles<br />

schon von innen erlebt hat, weiß er<br />

um das Verbindende allen Lebens – auch<br />

ohne eigene äußere Attribute ist er ganz<br />

er selbst. Oder sie.<br />

Dieses furiose Buch stellt all die<br />

sorgfältig gepflegten Unterschiede infrage,<br />

mit deren Hilfe wir uns definieren.<br />

A. kann nur deshalb sein Leben bewältigen,<br />

weil genau diese Unterschiede, so<br />

nimmt er es wahr, nicht mehr als 2 Prozent<br />

unseres Menschseins ausmachen.<br />

Das Verbindende verpflichtet uns dazu,<br />

uns umeinander zu kümmern, besonders,<br />

da wir dem Universum egal sind. Das alles<br />

klingt recht philosophisch, und das ist<br />

es auch. Doch motivieren sich die Überlegungen<br />

zwanglos aus dem Gang der Ereignisse<br />

und aus der Vielfalt der involvierten<br />

Personen.<br />

Ganz nebenbei ändert sich während<br />

der Lektüre aber auch der Blick auf<br />

das eigene Leben. Welcher Jugendliche<br />

möchte nicht irgendwann jemand anders<br />

sein, wünscht sich nicht hin und wieder<br />

andere Eltern? Welches Privileg es jedoch<br />

ist, eine Geschichte zu haben, einen<br />

Namen, Erinnerungen und die Möglichkeit,<br />

sich für den nächsten Tag zu verabreden,<br />

darüber bringt uns dieses Buch<br />

zum Nachdenken.<br />

Am Schluss, dies als Warnung, gibt<br />

es kein Happy End für das junge Liebespaar.<br />

Nur eine Hoffnung auf den zweiten<br />

Band.<br />

Britta Sebens<br />

David Levithan<br />

„Letztendlich sind wir dem<br />

Universum egal“<br />

Aus dem Amerikanischen von Martina Tichy.<br />

S. Fischer FJB, Frankfurt a. M. 2014. 394 S., 16,99 €

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