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Schriftliche Stellungnahmen von Verbänden und ...

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Ausschussdrucksache 16(11)538<br />

Ausschuss für Arbeit <strong>und</strong> Soziales<br />

cherte“ vor. Nach § 38 SGB VI n. F. sollen diejenigen<br />

Versicherten Anspruch auf eine Altersrente haben, die<br />

das 65. Lebensjahr vollendet <strong>und</strong> eine Wartezeit <strong>von</strong> 45<br />

Jahren erfüllt haben. Auf die Wartezeit werden nach dem<br />

neuen § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 1 SGB VI Kalendermonate<br />

mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung<br />

oder Tätigkeit angerechnet. Hierzu zählen etwa auch<br />

Pflichtbeitragszeiten aus nicht erwerbsmäßiger Pflege,<br />

Krankengeldbezug, Wehr- oder Zivildienst sowie aus<br />

Kindererziehung, d. h. aus den ersten drei Jahren der<br />

Erziehung eines Kindes, § 56 Abs. 1 SGB VI. Dagegen<br />

nimmt § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 1 SGB VI n. F. Pflichtbeitragszeiten<br />

wegen des Bezugs <strong>von</strong> Arbeitslosengeld <strong>und</strong><br />

Arbeitslosengeld II ausdrücklich <strong>von</strong> der Anrechnung<br />

aus. Nach § 51 Abs. 3a Satz 1 Nr. 2 SGB VI n. F. werden<br />

allerdings Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung,<br />

d. h. die ersten zehn Jahre der Erziehung eines<br />

Kindes (§ 57 Satz 1 SGB VI), auf die Wartezeit angerechnet.<br />

Die im Entwurf des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes<br />

vorgesehene Ausnahmevorschrift für besonders<br />

langjährig Versicherte wirft in zweierlei Hinsicht verfassungsrechtliche<br />

Probleme auf. Zum einen könnte eine<br />

verfassungswidrige Ungleichbehandlung verschiedener<br />

Pflichtbeitragszeiten <strong>und</strong> damit verschiedener Versicherter<br />

vorliegen. Zum anderen stellt sich die Frage, ob die<br />

Ausnahmeregelung zu einer mittelbaren Diskriminierung<br />

<strong>von</strong> Frauen führt. Beide Fragen sind vor dem Hintergr<strong>und</strong><br />

der Art. 14 <strong>und</strong> 3 GG zu erörtern.<br />

1. Zum Eigentumsschutz <strong>von</strong> Versichertenansprüchen<br />

<strong>und</strong> -anwartschaften aus der gesetzlichen<br />

Rentenversicherung<br />

Seit seinem gr<strong>und</strong>legenden Urteil zum Versorgungsausgleich<br />

vom 28. Februar 1980 (BVerfGE 53, 257 ff.) geht<br />

das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung<br />

vom Schutz der Versichertenansprüche <strong>und</strong> -<br />

anwartschaften aus der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

durch die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG aus (siehe<br />

BVerfGE 53, 257 [289 f.]; 55, 114 [131]; 58, 81 [109];<br />

64, 87 [97]; 69, 272 [298]; 70, 101 [110]; 95, 143 [160];<br />

100, 1 [32]). Diese Rechtspositionen weisen nach Auffassung<br />

des Gerichts alle konstituierenden Merkmale des<br />

Eigentums im Sinne des Art. 14 GG auf. Regelt der<br />

Gesetzgeber den Leistungsumfang der gesetzlichen Rentenversicherung,<br />

so nimmt er einen Eingriff in die Eigentumsfreiheit<br />

der Versicherten in Form einer Inhalts- <strong>und</strong><br />

Schrankenbestimmung vor (BVerfGE 53, 257 [293]; 100,<br />

1 [37 f.]). Mit der im Entwurf des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes<br />

vorgesehenen Verkürzung der Rentenbezugsdauer<br />

würde der Gesetzgeber auch den Leistungsumfang<br />

der gesetzlichen Rentenversicherung reduzieren.<br />

Das B<strong>und</strong>esverfassungsgericht betont regelmäßig,<br />

Eingriffe in die Eigentumsfreiheit müssten auch den<br />

übrigen Verfassungsvorgaben, insbesondere dem Gleichheitssatz<br />

genügen. Es sieht in der Beachtung des Gleichheitssatzes<br />

ein besonderes Rechtfertigungserfordernis für<br />

Eingriffe in die Eigentumsfreiheit (BVerfGE 70, 191<br />

[200]; 72, 66 [78]; 79, 174 [198]; 87, 114 [139]; 102, 1<br />

[17]).<br />

2. Zur ungleichen Würdigung verschiedener Pflichtbeitragszeiten<br />

a) Ungleichbehandlung <strong>von</strong> wesentlich Gleichem<br />

Gemäß Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem<br />

Gesetz gleich. Ein Verstoß gegen den allgemeinen<br />

Gleichheitssatz setzt eine Ungleichbehandlung <strong>von</strong> wesentlich<br />

Gleichem voraus. Zur Ermittlung dessen sind<br />

Vergleichspaare zu bilden. Eine Ungleichbehandlung<br />

liegt vor, wenn die diese Vergleichspaare bildenden<br />

Personen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen belegt<br />

werden. Maßgeblich für die Frage, ob „wesentlich Gleiches“<br />

ungleich behandelt wird, ist nicht jede oder gar die<br />

umfassende Vergleichbarkeit der die Vergleichsgruppe<br />

bildenden Personen, sondern nur deren wesentliche Vergleichbarkeit<br />

hinsichtlich desjenigen Vergleichskriteriums,<br />

das für den Anlass der ungleich wirkenden Behandlung<br />

maßgeblich ist, hierzu also in engem inneren Sachzusammenhang<br />

steht (näher dazu Helge Sodan/Jan Ziekow,<br />

Gr<strong>und</strong>kurs Öffentliches Recht, 2005, § 30 Rn. 9 ff.).<br />

Die Ausnahmeregelung des § 38 SGB VI n. F. behandelt<br />

einzelne Versichertengruppen unterschiedlich. Solche<br />

Versicherten, die das 65. Lebensjahr vollendet haben <strong>und</strong><br />

bereits 45 Versicherungsjahre im Sinne des § 51 Abs. 3a<br />

SGB VI aufweisen, können danach sofort abschlagsfrei<br />

eine Altersrente beziehen. Der jeweilige Barwert ihrer<br />

Renten erhöht sich dadurch nicht unwesentlich: Die<br />

betroffenen Versicherten kommen nicht nur früher in den<br />

Genuss ihrer Rentenansprüche, sondern beziehen auch<br />

im für sie günstigsten Fall zwei Jahre länger ihre Renten.<br />

Der Tod des einzelnen Versicherten verschiebt sich nämlich<br />

nicht mit dem Renteneintritt. Andere Versicherte, die<br />

zum selben Zeitpunkt weniger als 45 Versicherungsjahre<br />

zurückgelegt haben, aber dieselbe Anzahl <strong>von</strong> Entgeltpunkten<br />

vorweisen können, da sie im Laufe ihrer Versicherungsbiographie<br />

eine höhere Beitragsleistung erbracht<br />

haben, besitzen dagegen erst mit der Vollendung des 67.<br />

Lebensjahres einen Anspruch auf eine abschlagsfreie<br />

Rentenleistung. Trotz gleicher Summe <strong>von</strong> Entgeltpunkten<br />

werden also verschieden hohe Rentenleistungen<br />

gewährt. Dabei bestimmen die Entgeltpunkte die „Rangstelle“<br />

des Versicherten innerhalb der Versichertengemeinschaft<br />

(siehe BVerfGE 54, 11 [28]; Franz Ruland,<br />

Die Sparmaßnahmen im Rentenrecht <strong>und</strong> der Eigentumsschutz<br />

<strong>von</strong> Renten, in: DRV 1997, S. 94 [103]); sie sind<br />

– obgleich sie auch für beitragsfreie Zeiten erzielt werden<br />

(§ 71 SGB VI) – vor allem Ausdruck der individuellen<br />

Beitragsleistung des einzelnen Versicherten, die sich<br />

auch in einer entsprechenden Würdigung auf der Leistungsseite<br />

der gesetzlichen Rentenversicherung widerspiegeln<br />

muss. Man spricht insoweit vielfach vom Teilhabeäquivalenzprinzip<br />

(siehe Stellungnahme der Deutschen<br />

Rentenversicherung B<strong>und</strong> zum RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz,<br />

2007, S. 8, 11; Gutachten des Sozialbeirats<br />

zum Rentenversicherungsbericht 2006, BT-<br />

Drucks. 16/3700, S. 82; vgl. auch BSGE 90, 11 [23]).<br />

Entscheidet sich der Versicherte, ohne 45 Versicherungsjahre<br />

vorweisen zu können, dennoch für den Renteneintritt<br />

mit 65 Jahren, so muss er Abschläge in Höhe <strong>von</strong> 0,3<br />

% pro Monat, also insgesamt <strong>von</strong> 7,2 % hinnehmen, § 36<br />

Satz 2 SGB VI n. F. in Verbindung mit § 77 Abs. 2 Satz<br />

1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI. Diese Abschläge dienen dem<br />

Ausgleich der verlängerten Rentenbezugsdauer. In diesem<br />

Fall wird die Ungleichbehandlung verschiedener<br />

Versichertengruppen besonders deutlich.<br />

Bei den verschiedenen Versichertengruppen handelt es<br />

sich auch um „wesentlich Gleiche“ im Sinne der anerkannten<br />

Dogmatik zu Art. 3 Abs. 1 GG: Beide Versichertengruppen<br />

nehmen an der solidarischen, gesetzlichen<br />

Altersvorsorge teil <strong>und</strong> weisen die gleiche Summe an<br />

Entgeltpunkten auf.<br />

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