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Der kleine Bahnhof von El Chorro mit der Hauptwand (Frontales)<br />
In der Route »Bladerunner« (6a) im Sektor Escalera Arabe.<br />
Wenn zwischen Oktober und April Seile,<br />
Gurte und Karabiner in Deutschland meist<br />
im Keller landen, herrscht in Andalusien<br />
Hochsaison. Kein Wunder, denn in den<br />
Sommermonaten ist es viel zu heiß, um<br />
ernsthaft Ausflüge an den Fels in Betracht<br />
zu ziehen. Über Weihnachten oder Ostern<br />
wird es in den Fincas und Bungalows, die<br />
als Unterkünfte in und um den Ort zur<br />
Verfügung stehen, jedoch eng. Die beeindruckende<br />
Hauptwand »Frontales«, die<br />
schon bei der Anreise auffällt, liegt fast<br />
den ganzen Tag in der Sonne. Erfrischung<br />
an heißen Tagen bieten die wilden Wände<br />
in der Schlucht oder die kleineren Felsen<br />
rund um die Stauseen, die oberhalb des<br />
Örtchens schon vor fast 100 Jahren angelegt<br />
wurden.<br />
Die Vögel ziehen ihre Kreise<br />
Trotz seines in Kletterkreisen großen Namens<br />
ist El Chorro keines dieser Gebiete, in<br />
dem nur die Elite auf ihre Kosten kommt.<br />
Zwar sind auch die Routen im fünften oder<br />
sechsten Grad oft senkrecht, doch damit<br />
haben zumindest Kletterer, die bereits in<br />
der Halle Erfahrung gesammelt haben,<br />
meist kein Problem. Umso großzügiger fallen<br />
dafür die Griffe in dem wasserzerfressenen,<br />
hellgrau bis tieforange gefärbten<br />
Kalk aus. Lange Routen, die sich zehn oder<br />
mehr Seillängen durch die Wände hinaufziehen,<br />
gibt es in allen Schwierigkeitsgraden.<br />
Doch meist werden nur die untersten<br />
30 bis 40 Meter der Frontales-Wand beklettert,<br />
während die tief zerklüfteten Strukturen<br />
darüber das Reich der Vögel sind.<br />
Die Abendstunden in der Poema-Höhle,<br />
die innerhalb der Hauptwand einen eigenen<br />
Sektor bildet, sind auch ihretwegen<br />
ein besonderes Erlebnis: Wer die nötige<br />
Armkraft für überhängende Sintersäulen<br />
mitbringt, kann sich hier austoben, bis<br />
selbst das Heben eines kleinen Bierglases<br />
in Isabellas Bar wenig später zur veritablen<br />
Belastung wird. Für weniger muskulöse<br />
Sicherungspartner oder gemütliche<br />
Kletterer sind die eigentliche Attraktion<br />
hunderte Dohlen und Raben, die gegen<br />
die Schwerkraft kämpfende Menschen mit<br />
ihren Flugmanövern verspotten und unter<br />
wilden Schreien um den besten Platz für<br />
die Nacht streiten.<br />
Noch eine Etage weiter oben ziehen derweil<br />
Gänsegeier und Adler unbeeindruckt<br />
von dem Spektakel ihre weiten Kreise. Man<br />
muss sich vergegenwärtigen, wie hoch die<br />
Wände gen Himmel ragen, um die Größe<br />
dieser Vögel, die von unten wie schwarze<br />
Schatten am Himmel wirken, zu begreifen.<br />
Manchmal ist nur ein einzelner Geier<br />
zu sehen, manchmal – vermutlich mit<br />
Aussicht auf frisches Aas – ganze Schwärme<br />
von fast 20 Tieren. Steif segeln sie über<br />
das Tal, direkt von der Sierra de Huma hinüber<br />
zu den Stauseen, nur gelegentlich lassen<br />
sie sich zu einem Flügelschlag herab.<br />
Für die Kletterer sind die Vögel schnell ein<br />
vertrauter Anblick. Nur weit oben in den<br />
Wänden haben sie ganz selten einmal die<br />
Gelegenheit, den langen Hals eines Geiers<br />
aus der Nähe zu bewundern.<br />
Nervenkitzel am Königspfad<br />
Während die Begegnungen mit der Tierwelt<br />
trotz des eher gruseligen Rufs der Geier<br />
in der Regel harmlos verlaufen, wartete<br />
am Rande der Schlucht lange Zeit ein nicht<br />
ganz ungefährlicher Nervenkitzel. Als die<br />
Spanier zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
die Staudämme und Seen über El Chorro<br />
anlegten, um mit Wasserkraftwerken<br />
Selbst das Heben<br />
eines Bierglases<br />
in Isabellas Bar<br />
kann abends<br />
zum Test für den<br />
strapazierten<br />
Bizeps werden.<br />
106 Bergsteiger 01⁄15