Transgourmet Spezial Mehrwert - spezial_mehrwerte_2016.pdf
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INITIATIVE<br />
PRAXIS<br />
„Unser Stellenwert muss sich ändern“<br />
Wir sprachen mit dem Experten für Seniorengastronomie<br />
und Smoothfood, Herbert Thill,<br />
über neue Anforderungen an die Heimküche.<br />
Thill ist Küchenmeister und -leiter im Haus<br />
Christkönig in Bad Wildungen.<br />
Der Stellenwert der Seniorenverpflegung<br />
nimmt mit der Alterspyramide kontinuierlich<br />
zu. Kommt diese steigende Bedeutung auch<br />
bei den kochenden Kollegen rüber?<br />
Herbert Thill: Ich habe das Gefühl, dass die<br />
Aufgaben in der Heimküche umfassender<br />
werden. Damit meine ich, dass wir mehr und<br />
mehr auch für andere Zielgruppen wie Kinder<br />
und Schüler kochen. Das gehört eigentlich<br />
nicht zu unserer Kernaufgabe, wird aber dem<br />
Küchenleiter gerne aufgedrückt. Damit will<br />
man zusätzliche Einnahmen, sprich, Deckungsbeiträge,<br />
holen. Im Klartext: Die Alten subventionieren<br />
das Essen der Jungen. Damit wird<br />
aber das Essen im Heim noch nicht besser.<br />
Wie sehen heute die Anforderungen an<br />
Heimköche konkret aus?<br />
Thill: Ein zentrales Thema ist heute sicher<br />
Smoothfood, also passierte Kost. Fakt ist, dass<br />
die Zahl jener Senioren mit Kau- und Schluckbeschwerden<br />
stetig steigt. Hier sehe ich vielfach<br />
noch Optimierungsbedarf, was die Zubereitung<br />
der hochempfindlichen Lebensmittel<br />
betrifft. Da fehlt es an Personal oder an Zeit<br />
oder das Budget ist zu knapp bemessen. Ein<br />
anderes Thema, das ich in der Praxis immer<br />
wieder registriere, ist die fehlende individuelle<br />
Abstimmung verschiedener Arbeitsabläufe<br />
zwischen Pflege, Hauswirtschaft und Küche.<br />
Besonders bei der Versorgung von Demenzkranken<br />
muss das besser werden. So bleibt das<br />
wichtige Thema passierte Kost in vielen Häusern<br />
auch deshalb häufig ein Stiefkind.<br />
Manche Häuser haben die Küchenleistung<br />
als Visitenkarte erkannt. Kommt das auch in<br />
einem größeren Budgetrahmen zum Ausdruck?<br />
Thill: Wir haben bei den Budgets ein Nord-<br />
Süd-Gefälle: Aus Berlin kenne ich die niedrigsten<br />
Budgets, die bei 3,50 Euro liegen.<br />
Wohlgemerkt reiner Wareneinsatz für sechs<br />
Mahlzeiten, darunter auch kleine Zwischenmahlzeiten.<br />
Was wir in der Heimküche brauchen,<br />
sind 5 Euro Materialkosten. Wenige<br />
Häuser wie etwa in München geben für Lebensmittel<br />
viel Geld aus. Der Schnitt liegt bei 4 Euro<br />
pro Tag und Bewohner.<br />
Was ist Ihnen als Jurymitglied des Wettbewerbs<br />
„Vom Kostenfaktor zum Glücksfaktor“<br />
bei den Bewerbungen aufgefallen?<br />
Thill: Insgesamt gibt es noch vielfach einen<br />
einfachen Standard. Da ginge mehr. Meines<br />
Erachtens wird zu wenig gefragt, wie der<br />
Bewohner eingebunden werden kann. Mir wird<br />
zu viel für den Bewohner gemacht und zu<br />
wenig mit ihm.<br />
Worauf sollte die Heimküche mehr achten?<br />
Thill: Unser Problem ist, dass wir uns wenig auf<br />
die Welt der Bewohner einlassen. Wir müssen<br />
den Gästen nicht alles sofort vor die Nase<br />
setzen. Sehen Sie, in der Heimkochausbildung<br />
beschäftigen wir uns nicht mit Kochen, sondern<br />
mit der Herausforderung Demenz. Hier müssen<br />
wir den Mut haben, neue Wege zu gehen und<br />
Lösungen zu finden. Leider genießt die Heimküche<br />
nicht den Stellenwert, den sie längst für die<br />
Bewohner hat. Sie liefert die Highlights des<br />
Tages. Stattdessen verharren die Entscheider in<br />
dem Denken: Hauptsache warm, satt und<br />
sauber. Diesbezüglich sind unsere deutschsprachigen<br />
Nachbarn Schweiz und Österreich<br />
weiter – hier genießt die Küche eine hohe<br />
Position. Da gibt es keine Cent-Diskussionen<br />
um gute Lebensmittel. Burkart Schmid<br />
Küchen kulinarischen Genuss erfahren.<br />
Auf diese Weise bleibt die Würde<br />
der Menschen gewahrt.“ Klotter weiter:<br />
„Es bleibt eben nicht der Eindruck<br />
hängen, dass die Älteren einfach nur<br />
verwaltet werden. Mich hat die Kreativität<br />
aller Einrichtungen, die Vielfalt<br />
der Möglichkeiten, die sie entwickelt<br />
haben, sehr beeindruckt. Das hätte ich<br />
in dieser Breite nicht erwartet.“<br />
Was der Wissenschaftler beschreibt,<br />
ist für viele Verantwortliche und Bewohner<br />
zum Selbstverständnis geworden:<br />
Die Küche steht vielfach für ein<br />
neues Denken von Offenheit und Lebensfreude<br />
samt Wohlbefinden für<br />
die Bewohnerinnen und Bewohner.<br />
Die Seniorenverpflegung steckt diesbezüglich<br />
in einem Wandel, was den<br />
Stellenwert der Ernährung betrifft.<br />
Essen kann emotionale<br />
Heimat geben.<br />
Martin Kölle bringt es auf den Punkt:<br />
„Der Qualitätsanspruch wird meiner<br />
Meinung nach steigen. Neue innovative<br />
Konzepte, die den Menschen in<br />
den Mittelpunkt rücken und die Verpflegung<br />
als Qualitätsmerkmal ansehen,<br />
werden zunehmen und überzeugen.“<br />
Insgesamt sei die Branche auf einem<br />
guten Weg. Essen könne den Bewohnern<br />
eine emotionale Heimat<br />
geben, ist sich der <strong>Transgourmet</strong>-Manager<br />
sicher. Allerdings müssten die<br />
Wünsche und Erwartungen der Gäste<br />
von der Küchencrew kontinuierlich<br />
erfragt werden. „Die Heimküche<br />
stärkt die Gemeinschaft und bildet so<br />
den Rahmen, auch neue Themen voranzutreiben<br />
und den Dialog zu fördern.“<br />
Sein Credo: Eine große Aufgabe,<br />
die ein enormes Potenzial in sich<br />
birgt, das es zu erschließen gilt. Übrigens<br />
sind die Empfehlungen für eine<br />
Gemeinsam<br />
zelebrierte Mahlzeiten<br />
stärken die<br />
Gemeinschaft.<br />
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