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INITIATIVE gesunde Ernährung für Jung und Alt gleich: Frisches Obst und Gemüse sowie Vollkorn-Getreideprodukte sollten häufig auf dem Teller landen, Fleisch, fett- und zuckerhaltige Lebensmittel dagegen nur in Maßen. Außerdem rät die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), täglich Milchprodukte aufzutischen, sowie einmal pro Woche Seefisch. Allerdings erlebt der Mensch in der zweiten Lebenshälfte einige Veränderungen, die Anpassungen in der Ernährungsweise sinnvoll machen können. Der Stoffwechsel stellt sich um, der Muskelanteil im Körper schwindet, der Anteil an Fettgewebe nimmt zu. Das führt dazu, dass Menschen im Alter einen geringeren Energieumsatz haben als jüngere. Ein 65-jähriger Mann be- nötigt am Tag etwa 330 Kilokalorien weniger als ein 25-Jähriger, rechnet die DGE vor. Bei einer Frau sinkt der Bedarf im gleichen Zeitraum um 170 Kilokalorien. Diesem verringerten Energieverbrauch müssen auch die Heimköche Rechnung tragen. Deren Bedeutung wird in den nächsten Jahren steigen. Burkart Schmid / Claudia Zilz FORSCHUNG „Sie wollen aktiv bleiben“ Die Beatles-Generation kommt ins Rentenalter. Damit ändern sich auch deren Ansprüche an das Essen. Wir sprachen mit dem Ernährungsexperten und Psychologen Prof. Dr. Christoph Klotter über die Merkmale der neuen Alten. Wie wirkt sich der demografische Wandel auf den Umgang mit Senioren als wachsende Zielgruppe aus? Prof. Dr. Christoph Klotter: Lange bestand die Befürchtung, der soziodemografische Wandel würde sich dahingehend auswirken, dass die Menschen älter und kränker werden. Jedoch hat sich die sogenannte Kompressionshypothese bestätigt. Menschen werden älter, aber vor ihrem Tod kürzer krank. Insgesamt sind ältere Menschen viel gesünder als früher. Die heute 70-Jährigen sind körperlich so gesund wie die 50-Jährigen ihrer Vorgängergeneration. Und wir werden permanent älter: Zwischen 1990 und 2010 stieg die Lebenserwartung um mehr als 5 Prozent, bei den Männern sogar um 7 Prozent. Ältere Menschen sind mit ihrem Leben nicht unzufriedener als Jüngere. Im Gegenteil. Auch aufgrund ihres guten Gesundheitsstatus sitzen sie nicht im Altenheim im Rollstuhl, sondern wollen am Leben aktiv teilhaben. Viele von ihnen haben einen kleinen Nebenjob. Sie wollen anerkannte Mitglieder der Gesellschaft sein, auch wenn sie ihre Identität nicht mehr überwiegend über ihre Arbeit definieren. Welche Ansprüche werden an die Senioreneinrichtungen gestellt? Prof. Dr. Klotter: Die neuen Alten wollen nicht verwaltet sein. Viele Einrichtungen früher, aber teilweise auch noch heute, glichen in ihrer Gestaltung einem Gefängnis. Mit dem Soziologen Goffman wissen wir, dass totale Institutionen die menschliche Psyche grundlegend ruinieren. Heute ist aktive Teilhabe angesagt, möglichst viel Autonomie für die neuen Alten. TV schauen und Däumchen drehen reichen bei Weitem nicht aus. Was wünschen sich denn die „neuen Alten"? Prof. Dr. Klotter: Anstatt sie aufzubewahren und zu verwalten, kann ihnen auf Augenhöhe begegnet werden, nicht bevormundend, nicht vorschreibend, sondern partizipativ. Ältere wie alle Menschen wollen gefragt sein, wollen einbezogen sein, wollen mitgestalten, Impulse geben und womöglich umsetzen. In welche Richtung entwickeln sich die Ernährungsgewohnheiten älterer Menschen? Prof. Dr. Klotter: Da die Älteren heute mehr Zeit als früher haben, nimmt das Essen mehr Raum ein als bei Berufstätigen. Sie essen relativ gesund. Und sie essen traditionell, also das, was sie schon immer gegessen haben. Das verleiht ihnen Identität und Kontinuität. Sie können sich auf ihre Lebensgeschichte zurückbesinnen. Mit dem Essen verleihen sie ihrem Leben Sinn. Der entscheidende Unterschied zu früher besteht darin, dass wir länger leben, länger selbstständig leben. Selbst einzukaufen, selbst zu kochen, selbst aufzuräumen, bedeutet wiederum, die eigene Selbstständigkeit aufrechtzuerhalten, wenn nicht zu erhöhen. Welche Rolle spielen die vielen Reisen in fremde Länder? Prof. Dr. Klotter: Wenn Ältere Urlaub machen, dann wollen sie auch danach wie viele andere das speisen, was sie in Spanien oder Thailand zu sich genommen haben. Dies weckt Urlaubserinnerungen und erhöht die Vielfalt bei Tisch. Wie wirkt sich die Lebenserfahrung der Menschen auf das Ernährungsverhalten im Alter aus? Prof. Dr. Klotter: Menschen sind insgesamt relativ änderungsresistent. Längsschnittstudien zeigen, dass kleine Kinder, die Ernährungsvielfalt erlebt haben und sich beim Kaufen und Zubereiten beteiligen konnten, sich auch 20 Jahre später noch vielfältig ernähren. Was sich aber sehr wohl auswirkt, ist die soziale Lebenslage: je höher, umso gesünder. Und das setzt sich im Alter fort; ebenso das Geschlecht: Auch ältere Frauen ernähren sich gesünder als ältere Männer, verzehren mehr Obst und Gemüse und weniger Fleisch und Wurst. Der Mensch ist beim Ändern eine Schnecke. Aber selbstredend können Einrichtungen Änderungen bewirken, wenn es den Älteren Spaß macht, wenn sie etwas erleben, wenn sie selbst Hand anlegen können und sie darin einen unmittelbaren Sinn sehen – etwa die Freude, mit anderen zusammen zu kochen. Aber auch eine wachsende Kompetenz beim Essen und Zubereiten kann Sinn machen. Burkart Schmid 44 gv-praxis |food-service |Transgourmet | 2016 SPECIAL
INITIATIVE Lieblingsrezepte und mehr Auf einer Rundreise zu verschiedenen Senioreneinrichtungen von Artelshofen bis Wolfsegg verrieten die Bewohner ihre Lieblingsgerichte und packten begeistert selbst mit an. Die Sammlung von 100 Lieblingsrezepten ist ein gemeinsames Projekt von Manuela Rehn und Jörg Reuter von der Berliner Strategieberatung „grüneköpfe“ sowie der Kochbuchautorin und Food-Bloggerin Cathrin Brandes. Das Buchprojekt wurde unterstützt vom Coop-Fonds für Nachhaltigkeit und von Transgourmet Deutschland. Es ist erschienen im Neuer Umschau Buchverlag und begeistert in seiner Bildersprache. „Wir haben einfach gekocht“, Hardcover, 304 Seiten, ISBN: 978-3-86528-805-9, Preis: 29,90 Euro. www.wir-haben-einfach-gekocht.de Kochbuch-Initiator Jörg Reuter (li.) mit einem Bewohner. 2016 | gv-praxis |food-service |Transgourmet 45
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