UNDERDOG 62
Schwerpunkt: Punk und Politik – Protest, Parolen und Provokation Unser Schwerpunkt beleuchtet die politischen Komponenten im Punk. Die unterschiedlichen Lebensstile koexistieren, genau wie die Musikstile, nebeneinander und tragen zu einem lebendigen Diskurs innerhalb der „Szene“ bei. So widersprüchlich Punk mit den verschiedensten Facetten und Varianten bis heute auch sein mag, liefert die Subkultur den Impuls für eine widerständige Kultur, Selbstermächtigung und eine weitgehende Demokratisierung der Popkultur.
Schwerpunkt: Punk und Politik – Protest, Parolen und Provokation
Unser Schwerpunkt beleuchtet die politischen Komponenten im Punk. Die unterschiedlichen Lebensstile koexistieren, genau wie die Musikstile, nebeneinander und tragen zu einem lebendigen Diskurs innerhalb der „Szene“ bei. So widersprüchlich Punk mit den verschiedensten Facetten und Varianten bis heute auch sein mag, liefert die Subkultur den Impuls für eine widerständige Kultur, Selbstermächtigung und eine weitgehende Demokratisierung der Popkultur.
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uns die unwahrscheinlichsten Widersprüche.
Aber wir wollen sie nicht wahrhaben. Punk als
radikale Idee, in der die Jugend schuldlos
hineingeboren wird, gegen das psychologischmechanische
Denken und gegen das Firlefanz der
Komplexe, Revolte gegen traditionelle Werte, die
sich als hohl erwiesen, bestimmen Inhalt und
Ton auf Mahnstufe X, was sich insbesondere in
‚Talking 'bout my generation‘ manifestiert.
Vernunft wird fantastisch bis zum paradoxal
absurden. Punk ist kein Exil mehr, es ist Drama
und irgendwie Spiegelbild oder Symbol des
Mikrokosmos der allgemeinen Widersprüche.
OIRO sind mit diesem Album die Quintessenz der
intellektualisierten Sprache, bereit, die zwischen
den Menschen gähnende Leere zu füllen. Keine
Intrige, viele Rätsel, unlösbar bekanntes und
vertrautes, unerklärliche Abenteuer und
Gefühlszustände, unbeschreibliche
Verzahnungen, lebendig, überraschend voll
Bewegung und Leidenschaft. Dramatische
Steigerung durch Wiederholung. Aber
ausgezeichnet gespielt. OIRO gehört in die
vorderste Reihe der subkulturellen Bühne, auf
der der bitterer und anklagender, wenn auch
getarnt durch Humor implodierender und
grooviger Rhythmus eine neue Form der
Befreiung und der Selbstbehauptung erreicht.
R___________________
Rong Kong Koma – Lebe dein Traum LP
Rookie Records/Indigo
Who the fuck is Rosi? Das Herz schmerzt, der
Kopf explodiert. Und mittendrin der Geruch von
Rotwein, THC und Schweiß. Im Sog von Bukowski,
Rio Reiser, Frankie Stubbs, entwickelt sich die
Atmosphäre im Dunstkreis von AZ und Hinterhof-
Szenekneipe zu einer hippiesken Session und
‚Ich-bin-nur-ein-halbes-Schwein‘-Philosophie.
Sebastian, Nils, Mike und Benjamin servieren
Emocore im Liedermacher*innen-Style, der rau
und zeitlos ist, der reift und für die Ewigkeit
gemacht ist, nachwirkt und knallt wie eine
Kopfnuss, wie ein Sturz auf Beton und wie das
Gefühl von Schmetterlinge im Bauch.
Songs/Chansons wie ‚Oh Chérie‘, ‚Drogen oder
Dich‘ sind jetzt schon Klassiker in der Beatmusik-
Ära, wo Eleganz und geistreicher Wortwitz eine
Ausnahme waren. Zwischen den Stühlen, auf den
Tischen und den Barrikaden schmeißen sie den
‚schwersten Stein‘ der Melancholie und spucken
in deinen Chai-Latte. Wir sehen uns „gleich bei
der Schanze“ und lassen uns treiben und
inspirieren von Wortfetzen zwischen
Gesellschaftskritik und Erinnerung an alte, raue
Zeiten.
S___________________
SLIME – Wem gehört die Angst LP
Arising Empire
‚Die Angst hat Konjunktur‘. Keine Woche vergeht
mehr ohne dramatische Krisen, die mitunter
Panik auslösen (s. Corona-Virus). Doch mit jedem
Tag wachsen die (Selbst)Zweifel, ob du dein
Leben von den außergewöhnlichen sozialen
Grausamkeiten bestimmen lassen solltest oder
diese aufgezwungen wurden. Gut, dass es Bands
wie SLIME gibt, die dich an die Hand nehmen und
immer noch vormachen, wie wir mit der
Gesamtscheiße umgehen oder zumindest beim
Namen nennen. „Wir sind gekommen, um zu
scheitern!“ Also weiter mit Volldampf voraus, du
hast nichts zu verlieren. Die Paläste brennen, die
Damme brechen und alles liegt in Trümmern.
SLIME skizzieren ein pessimistisches Bild und
sind deswegen nicht beunruhigt, sondern
begegnen die ‚Krisen‘ mit Zynismus und
Widerstand, die sich in Songs wie „Wenn wir
wollen“ ausdrücken. Der hymnische Mitgröl-Song
ist erquickend und einer der vielen Barrikaden-
Hits, die immer noch zünden, als wären die 80er
Jahre lebendig, wo die Hausbesetzer*innen- und
Punk-Szene eine Symbiose aus radikalen
widerständigen Aktionen, Selbstermächtigung
und das Recht auf Selbstbestimmung war. Nun,
SLIME nimmt sich dann auch mal Zeit zum
Reflektieren und greift in ‚Paradies‘ die
politischen Wurzeln und die Einflüsse wie ein
Flashback auf. Ein Glaubensbekenntnis für
Protest(haltung) und eine bessere Welt. Elfs
beeindruckendes Gitarrenspiel und die
prägnanten Melodien produzieren punktuelle
Schwingungen, um eine geschlossene Welle
loszubrechen. Und die bricht über dich in Songs
wie ‚Fette Jahre‘ hinein. SLIME 2020 ist immer
noch wichtiger Polit-Punk mit
Statements/Phrasen und Parolen, die wie das
nötige Mittel gegen das Schwinden von Erinnern
und Bewältigung wirkt. Gewiss, diese
Inszenierungen kommen nie ganz ohne Kitsch
aus, und kein Lied, kein Auftritt, keine Ansprache
kann im Ernstfall die gesellschaftliche/soziale
Gesamtscheiße verhindern. Und doch tragen sie
im Kollektiv zur Selbstermächtigung der
schikanierten Jugendlichen bei, die sich in
Protest- und neuen sozialen Bewegungen
zusammenfinden.
Rotten Mind – Rat City Dog Boy LP
Lövely Records
Auch auf ihrem 4. Album servieren ROTTEN
MIND Garage, Post Punk und Melodien für die
Ewigkeit. Geprägt von deutlichem Kellerratten-
Charme, erinnern die neuen Songs mehr an eine
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