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Kunstbulletin Dezember 2021

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

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Earth Beats — Ein multiperspektivischer Blick auf die Natur<br />

Die Ausstellung ‹Earth Beats – Naturbild im Wandel› im Kunsthaus<br />

Zürich stellt sich den grossen Fragen der Gegenwart auf<br />

kleinem Raum mit den Mitteln der Kunstgeschichte. In dichten<br />

Konstellationen treffen Werke aus ganz unterschiedlichen Epochen<br />

und Kulturen aufeinander. Kann das funktionieren?<br />

Zürich — Zu dicht, zu klein, zu gedrängt sei jene Ausstellung, die den Neubau des<br />

Kunsthauses aus den Debatten zur Vergangenheit in die Gegenwart holen soll. ‹Earth<br />

Beats› findet tatsächlich auf kleinem Raum statt. Die kuratorische Entscheidung von<br />

Cathérine Hug und Sandra Gianfreda, auf Komplexität und Verschränkung zu setzen,<br />

anstatt das zeitgenössische Bedürfnis nach offenem Raum zu bedienen, scheint indes<br />

folgerichtig.<br />

In dem Masse, wie der Klimawandel zu extremeren Wetterlagen, Überschwemmungen,<br />

Dürren, Waldbränden, zum Anstieg des Meeresspiegels und zum schnellen<br />

Abschmelzen der Gletscher führt, wächst unsere Überforderung. Es ist nicht so, dass<br />

es uns an Daten fehlt, um diese Probleme zu analysieren, aber es scheint, dass wir<br />

nicht in der Lage sind, sie als Ganzes zu verstehen, das Wissen zu kontextualisieren.<br />

Es herrscht eine Art globales Analphabetentum, es fehlt uns an Hermeneutik, also<br />

der Fähigkeit, die Zeichen zu deuten. Da Informationen heute sofort verfügbar sind,<br />

befinden wir uns in einer visuellen und konzeptionellen Echokammer, in der Ideen<br />

und Wissen durch Zeit und Raum wirken und die althergebrachte Trias von Vergangenheit/Gegenwart/Zukunft<br />

obsolet machen.<br />

Ein Kennzeichen der zeitgenössischen Kunst ist denn auch die Gleichzeitigkeit<br />

verschiedenster Praxen, die gleichberechtigte Denkräume öffnen. Die Multiperspektive<br />

ist ein Merkmal des 21. Jahrhunderts, des Anthropozäns. Die Attraktivität des<br />

Begriffs liegt in seiner Strahlkraft als reflexiver Epochenbegriff, und die Verschachtelung<br />

der ausgestellten Werke, die Verschränkung von Sammlung und zeitgenössischem<br />

Diskurs berücksichtigt dies. ‹Earth Beats› integriert die komplexen Fragestellungen,<br />

indem die Ausstellung in die Sammlung des Kunsthauses eingewoben wird.<br />

Das Display im Neubau verbindet die permanente Intervention von Olafur Eliasson in<br />

der unterirdischen Passage mit einem «Gletscherraum» in den Sammlungsräumen<br />

im Altbau und wird durch ein ausführliches Veranstaltungsprogramm von Gesprächen,<br />

Vorträgen und Podcasts gerahmt.<br />

Bereits in der Assemblage im Moser-Bau sticht die Verschiebung der Perspektiven<br />

ins Auge. In der ‹Studie zum Rosenlauigletscher›, 1835, von Thomas Fearnley oder<br />

beim ‹Rhonegletscher›, 1892, von Félix Vallotton steht der Eisgigant für ein Naturspektakel<br />

zwischen Bedrohung und Wunder. Im einfachsten Fall kann das Erhabene<br />

als die Erfahrung dessen definiert werden, was «das Selbst mit der Vorstellung einer<br />

überwältigenden Macht überflutet». In der Konfrontation mit dem, was uns überragt,<br />

100 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2021</strong>

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