13.11.2021 Aufrufe

Kunstbulletin Dezember 2021

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Claudia Andujar<br />

Winterthur/Basel Muttenz — Bilder können die<br />

Wahrnehmung von Menschen und Ereignissen<br />

beeinflussen – unter diesem Aspekt zeigt das<br />

Fotomuseum in einer grossen Retrospektive<br />

das fotografische Werk von Claudia Andujar<br />

(*1931). Anfang der 1970er-Jahre besuchte<br />

die an sozialdokumentarischer Fotografie<br />

interessierte Andujar für ein brasilianisches<br />

Reportagemagazin das Gebiet des indigenen<br />

Volkes der Yanomani im nördlichen Teil des<br />

Amazonas. Mitten im brasilianischen Regenwald<br />

übersetzte Andujar mit ihrer Kamera das<br />

komplexe Universum der kleinen Gemeinschaft<br />

in entrückte Bilder. Bäume, Tiere und Menschen<br />

erscheinen in den teils schwarzweiss gehaltenen,<br />

teils kolorierten Fotografien aus einer<br />

fremden, unberührten, paradiesischen Welt.<br />

Als «grünen leeren Raum» betrachtete die<br />

brasilianische Militärdiktatur damals das<br />

Amazonas-Gebiet und somit als neu «kolonisierbar».<br />

Mit der «Route Norte» quer durch das<br />

Yanomani-Gebiet sollten 1973 die geologischen<br />

Schätze zugänglich gemacht werden. Das<br />

Eindringen in den Lebensraum der Yanomani<br />

barg dramatische Konsequenzen: Tödliche<br />

Krankheiten und blutige Landkonflikte bedrohten<br />

deren Lebensweise und damit deren<br />

Existenz. Andujar forderte von den Vereinten<br />

Nationen – zusammen mit den Führern der<br />

indigenen brasilianischen Völker – den Schutz<br />

des Amazonas. Mit ihren Fotografien machte<br />

Andujar das klandestine Leben der Menschen<br />

im Regenwald sichtbar und die Wahrnehmung<br />

der Weltöffentlichkeit veränderte sich: 1992<br />

wurde das Yanomani-Gebiet demarkiert und<br />

gesetzlich geschützt. Leider, ist hier anzufügen,<br />

bewegt sich die Geschichte heute rückwärts<br />

und das Amazonasbecken wird seit einigen<br />

Jahren durch die aktuelle Regierung erneut der<br />

Exploitation ausgesetzt.<br />

Die Ausstellung aus dem Archiv von Claudia<br />

Andujar ist in zwei Teile gegliedert, in das Werk<br />

der Kunstfotografin und in eine chronologische<br />

Aufzeichnung ihrer aktivistischen Tätigkeit. Im<br />

Grunde ist es müssig, die Fotoarbeiten in eine<br />

künstlerische und eine aktivistische Kategorie<br />

einzuteilen: Die Eindringlichkeit ihrer frühen<br />

Bilder haben ebenso etwas Aktivistisches, wie<br />

die Erzählung der Aktivistin im Video-Interview<br />

zu ihrer Kindheit poetisch ist. Denn die Begegnung<br />

mit den Yanomani bezeichnet eine Wiederholung<br />

ihrer eigenen (Kindheits-)Geschichte<br />

in Siebenbürgen, als das Gewaltregime der<br />

Nationalsozialisten ihre jüdische Familie in<br />

Auschwitz und Dachau auslöschte. JE<br />

Claudia Andujar · aus der Serie ‹Portäts›, in der<br />

Nähe von Catrimani, Bundesstaat Roraima,<br />

Brasilien, 1976, Schwarzweissaufnahme<br />

Claudia Andujar · Mann in einer Hängematte<br />

aus Baumrinde, Catrimani, Bundesstaat Roraima,<br />

Brasilien, 1974, Schwarzweissaufnahme<br />

→ Fotomuseum, bis 13.2.; Online-Paneldiskussion<br />

zum Thema Aktivismus und Exotisierung,<br />

22.1. ↗ www.fotomuseum.ch<br />

→ Kunsthaus Baselland, bis 2.1.<br />

↗ www.kunsthausbaselland.ch<br />

72 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2021</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!