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Kunstbulletin Dezember 2021

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

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Tacita Dean — Antigone und ihr blinder Vater<br />

Tacita Dean arbeitet mit 16- und 35-mm-Film, einem lichtempfindlichen<br />

Material, das ebenso gefährdet ist wie die Stätten<br />

seiner Produktion, Projektion und seines Vertriebs. Die Präsentation<br />

von ‹Antigone›, ihrer jüngsten Arbeit, in Basel ist eine kluge<br />

Antwort auf Blindheit im Umgang mit audiovisuellem Erbe.<br />

Basel — ‹Antigone› ist ein analoger Film. Für die Präsentation wurde ein Kinoraum<br />

im zweiten Obergeschoss des Kunstmuseums eingerichtet. Dort wird er im stündlichen<br />

Rhythmus als Doppelprojektion gezeigt. Naturaufnahmen von heissen Quellen<br />

und der «Grossen amerikanischen Sonnenfinsternis» von 2017 wechseln sich in dem<br />

Diptychon ab mit Szenen in Innenräumen, wo Personen diskutieren oder Lyrik vortragen<br />

wie bei einem Experimentalfilm. Das ist eine überwältigende Erfahrung für alle<br />

Sinne, ein visuelles, emotionales und kognitives Ereignis.<br />

‹Antigone› geht auf eine Filmidee zurück, die Tacita Dean 1997 zum Screenwriter’s<br />

Workshop mitgebracht hatte: «Die Handlung basiert auf dem nicht dramatisierten<br />

Stoff zwischen den beiden Sophokles-Dramen ‹König Ödipus› und ‹Ödipus auf<br />

Kolonos›, als der blinde Ödipus, geführt von seiner Tochter Antigone, durch die Wildnis<br />

zieht. Der Film schildert die zeitgenössische Reise eines Vaters und seiner Tochter<br />

vom modernen Theben nach Kolonos.» Dean nahm die Idee wieder auf, als sie<br />

nach Los Angeles umzog – in nächste Nähe zum Getty Institute und zu zeitgenössischen<br />

Filmproduktionsstätten, wo Fragen von HD, 3K, 4K und Virtual Reality Alltag<br />

sind. Sie begann sich mit einer dreifachen Blindheit auseinanderzusetzen:ihrer eigenen<br />

künstlerischen Blindheit gegenüber allgemein menschlichen Zufällen und Koinzidenzen,<br />

der Blindheit von Ödipus und der kosmischen Blindheit in Form der global<br />

wahrnehmbaren totalen Sonnenfinsternis von 2017. Sie übertrug diese Themen in<br />

einen Film und verstärkte dabei die «Blindheit», die dem Film als Medium inhärent<br />

ist: Die Vorgänge der Belichtung im Inneren der Kamera bleiben uns verborgen. Dean<br />

maskierte den Filmstreifen mit Schablonen. In einem ersten Schritt wurde ein Segment<br />

des Filmframes, nach dem Zurückspulen ein weiteres Segment belichtet. Sie<br />

wechselte die Drehorte von Bodmin Moor bei Winter zu den Ufern des Mississippi,<br />

von einem Gerichtsgebäude in Thebes zu den Geysiren im Yellowstone Park, ohne zu<br />

wissen, was sich bereits auf dem belichteten Film befindet. Die vom inneren Auge<br />

der Kamera aufgezeichneten Szenen offenbarten sich ihr erst im Spätsommer 2017.<br />

Mit dem Kinoraum als Präsentationsort wird ein bekanntes Format verwendet,<br />

das uns zu Reisen ins Unterbewusste und Unbekannte einlädt; in Gefilde mit anderen<br />

Geschwindigkeiten, wo Schlussfolgerungen unterbrochen, Wörter und Sprache sich<br />

neu ins Verhältnis zum Wahrnehmen setzen können. Stefanie Manthey<br />

→ ‹Tacita Dean – Antigone›, Kunstmuseum Basel | Gegenwart, bis 9.1.; mit Künstlerbuch und fünfteiligem<br />

Podcast ‹Blindspots› ↗ www.kunstmuseumbasel.ch<br />

80 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2021</strong>

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