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Kunstbulletin Dezember 2021

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

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Kunstgewerbe andockenden Arbeitsweise entwickelt. Sie könnte nun als visuelle<br />

Metapher für das Verständnis von letztlich inkohärenten Persönlichkeitsanteilen<br />

gelesen werden, das dazu beiträgt, zu einer Humanität auch gegenüber anderen zurückzufinden.<br />

Schon in einem früheren Werk, ‹In Hands›, 2016, fanden sich in ihren<br />

Händen links und rechts geformte Tonkugeln, die, je länger man sie anschaute, desto<br />

unterschiedlichere Kontaktspuren zeigten.<br />

Vollends in den Vordergrund rückte dieser Fokus auf die Verdopplung von Organen<br />

und Extremitäten und einer damit verbundenen psychischen Ambivalenz in der<br />

Periode der Pandemie. In diesen Monaten wandte sich die Künstlerin mit der ‹Financial<br />

Times› – ihrer Tageszeitung aus der Stadt ihres zweiten, jetzt brachliegenden<br />

Ateliers – einem Werkstoff zu, der sie wegen des Kontrasts von hinfälliger Sinnlichkeit<br />

und harten Fakten interessierte. Vor der aufgeschlagenen Zeitung kam ihr erst<br />

einmal nur Körperliches in den Sinn. So wurde nicht nur plötzlich auf der ganzen Welt<br />

von nichts anderem mehr als der Gesundheit gesprochen. Zugleich war ihr Mann just<br />

während der ersten Covid-19-Welle gefährlich an einer zuerst für das Virus gehaltenen<br />

Lungenembolie erkrankt. Wie als Votivbilder stückte und kleisterte sie erst einmal<br />

Organe aus Zeitungsseiten der ‹Financial Times›, angefangen mit den nur schon<br />

wegen des darunterliegenden Herzens nur scheinbar symmetrischen Lungenflügeln.<br />

Sie fand diese Arbeiten zunächst jedoch zu aufdringlich, um sie in dieser Form bereits<br />

auszustellen.<br />

Figuren für Ambivalentes<br />

Sie kehrte zur Doppelseite der ‹Financial Times› zurück,distanzierte die Nachrichtentexte<br />

zu einem Recto-Verso-Hintergrundgeräusch, indem sie die Seiten wachste<br />

und sich in der Mitte mit kräftigem Pinselstrich eine Carte blanche eröffnete. In diese<br />

Unterlage gravierte sie nun Zeichnungen der zuvor skulptierten Organe. Bald erschienen<br />

ihr allgemeinere, aber auch geheimnisvollere und rätselhaftere Bilder für<br />

Ambivalentes: ein doppelter, halb gezogener, halb geöffneter Vorhang, eine Waage<br />

im Ungleichgewicht, zwei Leuchttürme, die sich anstrahlen. Blätter aus dieser Serie<br />

waren unlängst in der Lausanner Galerie Heinzer Reszler ausgestellt. Und in der benachbarten<br />

Ateliergalerie von Raynald Métraux hat sie nun weitere drei Varianten auf<br />

Lithosteine gemalt, graviert und zwanzigfach auf aktuelle Ausgaben der ‹Financial<br />

Times› gedruckt. Noch vor Weihnachten werden sie in einer Einzelschau zu sehen<br />

sein. Einmal mehr kommt damit origineller Druckgrafik im teils ephemeren Werk der<br />

Künstlerin die Rolle der Fixierung wichtiger Bildfindungen zu.<br />

Zitate aus Gesprächen mit der Künstlerin im Herbst <strong>2021</strong>. Katharina Holderegger, Kunsthistorikerin, Kuratorin,<br />

Kritikerin, lebt mit ihrer Familie in Gland VD. holderegger@artlog.net<br />

→ ‹Sophie Bouvier Ausländer – The Financial Times Diaries›, Atelier et Galerie Raynald Métraux,<br />

Lausanne, auf Anfrage, <strong>Dezember</strong> <strong>2021</strong> ↗ www.atelier-metraux.com<br />

→ ‹Summer Exhibition <strong>2021</strong>›, kuratiert von Yinka Shonibare, Royal Academy of Arts, London, bis 12.1.<br />

↗ www.royalacademy.org.uk<br />

FOKUS // SOPHIE BOUVIER AUSLÄNDER<br />

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