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Kunstbulletin Dezember 2021

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

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Sophie Bouvier Ausländer bearbeitet ihr Material obsessiv und<br />

oft beidhändig, biegt, löst auf, flicht, zeichnet, malt. In diesem<br />

Spannungsfeld entstanden in der Pandemie Arbeiten, in denen<br />

sie der Welt auf den hautfarbenen Zeitungsseiten der ‹Financial<br />

Times› ihre eigenen Visionen gegenüberstellte und so zu ergreifenden<br />

Metaphern von Koexistenz fand. Katharina Holderegger<br />

Bouvier Ausländer behauptet oft, sie habe seit ihrer behüteten Kindheit auf dem<br />

Land – mit Gemüsegarten und Hühnerstall rund ums Haus – im nachfolgenden Studium<br />

nichts Entscheidendes mehr über Kreativität gelernt. Bei der Arbeit heute verspüre<br />

sie stets die gleiche Verzauberung wie damals zu Hause und in der Schule beim<br />

Töpfern, Malen und Weben. Unschuldig waren diese Aktivitäten nicht. Bereits darin<br />

steckten Pädagogik, Industrie und Kommerz.<br />

Machen ist Wiedermachen<br />

Bouvier Ausländer führte in der Tat in zwei mit ‹Selfportrait› untertitelten Werken<br />

– zwei Bibliotheken – entwaffnend vor, dass Kunstschaffende ihr Kontext sind.<br />

Die erste, eine 16 Meter lange Betonwand im Gymnasium von Renens, enthält nebst<br />

Geschichts- und Theoriebänden Hunderte von Monografien von Persönlichkeiten,<br />

mit denen sich die Künstlerin befasste oder die in der Kunstszene allgemein diskutiert<br />

werden. Die andere, ein mobiler Raumteiler aus MDF-Platten, repräsentiert<br />

die Literaturliste zu ihrem an der Slade School of Fine Arts 2013–2019 absolvierten<br />

PHD ‹On Tangibility Contemporary Reliefs and Continuous Dimensions›. Mit ‹Ways of<br />

Worldmaking› von 1978 führen beide einen identischen Haupttitel, der auf die berühmte<br />

Ontologie des Philosophen Nelson Goodman verweist. Dieser schlug statt<br />

des Gegensatzes von materiellen versus spirituellen Konzepten eine Koexistenz<br />

inkongruenter Welten in permanenter Neuformation vor, die der (Re-)Orientierung<br />

in der Welt dienen, «if there is any». Wissenschaft und Kunst schrieb er dabei eine<br />

ebenbürtige Rolle zu.<br />

Zu Gast im Hotel Ausland<br />

Will man Bouvier Ausländers Arbeiten vom Theoretischen her aufrollen, ist entscheidend,<br />

dass die Künstlerin ‹Ways of Worldmaking› nicht ex nihilo rezipiert hat,<br />

sondern unter dem Eindruck der Gesellschaftskritik von Zygmunt Bauman. Dieser<br />

deutete die Moderne in einer Trilogie 1989–1993 als eine Epoche, die gegen alles Ambivalente<br />

kämpfte und in dieser Radikalität letztlich zum schlimmsten aller Genozide<br />

geführt habe. So gründete Bouvier Ausländer im Hinblick auf die Einzelschau in<br />

dem in einem mehrstöckigen Stadthaus eingerichteten Musée d’art de Pully 2014<br />

das ‹Hotel Ausland›, das mit seiner immer noch sichtbaren Website ihr ganzes Werk<br />

beherbergt. Pate stand dem zum Dauerunternehmen geratenen Projekt aber nichts<br />

anderes als ihr Doppelname, in dem das Bodenständige (Bouvier, jurassischer Name<br />

32 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2021</strong>

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