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Kunstbulletin Dezember 2021

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

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Mathis Altmann — Ein Fall durch den Hasenbau<br />

Die Ausstellung ‹Amalgamate› von Mathis Altmann führt die<br />

Besucherinnen und Besucher im Kunstmuseum Winterthur<br />

in eine Welt hinter den Spiegeln. Die innere Alice in uns steigt<br />

allerdings nicht in eine Wunderwelt, sondern findet sich in<br />

einer Simulation auf Speed wieder.<br />

Winterthur — Waren die frühen Arbeiten von Mathis Altmann (*1987) noch regelrechte<br />

Materialschlachten der skulpturalen Formfindung, in denen gefundenes Material<br />

zu albtraumhaften, psychisch aufgeladenen Puppenhäusern zusammengeführt wurde,<br />

so scheinen die neuen Wandarbeiten in der Ausstellung ‹Amalgamate› schon fast<br />

reduziert. Der erste Eindruck täuscht natürlich, die Verschmelzung, die der Titel suggeriert,<br />

findet nicht nur zwischen den Werkstoffen und Gegenständen statt, sondern<br />

bezieht die menschliche Wahrnehmung in den Prozess mit ein. Die Assemblagen aus<br />

LED-Displays, Materialoberfläche und Bildgegenständen reflektieren das verlorene<br />

Individuum zwischen Leistungsgesellschaft, Konsumwelt und virtueller Realität<br />

wie in einem verrückt gewordenen Spiegel. Das Eintauchen in die Welt des Manor-<br />

Preisträgers <strong>2021</strong> gleicht einem Fall durch den Hasenbau, in welchem der Science-<br />

Fiction-Autor William Gibson Regie geführt hat.<br />

Die Verfügbarkeit von LED-Displays stellt neue Möglichkeiten der Weltenschöpfung<br />

dar, erlauben Bildschirme doch eine Simulation von Virtualität, die – in Kombination<br />

mit dem Entstehen von Metaversen à la Facebook & Co. – für das Konsumieren<br />

von Bildern und Inhalten eine Tiefe vorgaukeln, in die wir bereitwillig eintauchen. So<br />

werden Shoppingwelten zu Erlebnisräumen. Die Trennung von Technik, Empfindung<br />

und Erlebnis löst sich im Idealfall (für die Verkaufenden) im Akt des Konsumierens<br />

auf. Die Werbung ist eine Assemblage aus Oberfläche und virtuellem Raum, die Altmann<br />

gekonnt ins Absurde und gleichzeitig an ihren Ursprung zurückführt.<br />

Die Praxis der Assemblage lässt sich kulturgeschichtlich in der Romantik verorten.<br />

Im Kontext der orientalisierenden Märchenmode des 18. Jahrhunderts entstanden,<br />

dehnt sich das Muschel- und Laubwerk im Rocaille-Ornament vom Rahmen auf das<br />

Gerahmte aus, verwandelt sich in das Kunstwerk selbst, wird zum Bildgegenstand<br />

mit räumlicher Tiefe. Im Changieren zwischen Ornament- und Bildmodus bringt sie<br />

eine «eigene Welt» hervor, die bereits damals als «semantische Leere» des Ornamentalen<br />

kritisiert wird, beim Publikum jedoch auf Begeisterung stösst. Altmanns<br />

zeitgenössische Praxis versucht nun diesen Prozess zu Ende zu denken und gleichzeitig<br />

das immersive Element des Romantischen neu fruchtbar zu machen. Wenn er<br />

nicht aufpasst, wird ihn die Welt der totalen Werbung aber einfach imitieren und sich<br />

so weiter als Simulation des Realen perfektionieren. Damian Christinger<br />

→ ‹Mathis Altmann – Amalgamate›, Kunstmuseum Winterthur | Beim Stadthaus, bis 2.1. ↗ kmw.ch<br />

92 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2021</strong>

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