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Kunstbulletin Dezember 2021

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

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sind wir überfordert, können nicht sprechen. In diesem Zustand der Verwirrung konstituiert<br />

sich das Erhabene als «erlebter Widerspruch zwischen den Forderungen der<br />

Vernunft und der Macht der Einbildungskraft», um es mit Deleuze zu sagen. Das Ziel<br />

der erhabenen Erfahrung als ästhetische Kategorie besteht also darin, die Grenzen<br />

des Verstandes zu überschreiten, uns mit dem zu konfrontieren, was ausserhalb unseres<br />

Selbst liegt, unseren Geist und unsere Sinne überwältigt, es entsteht ein poetischer<br />

Raum für Kunst.<br />

Im Video ‹Aletsch Negative›,2019, von Laurence Bonvin findet ein gegenläufiger<br />

Prozess statt. Wir tauchen in den schmelzenden Riesen ein, werden Teil einer sich<br />

verändernden Morphologie der Natur. Auch Künstlerinnen wie Ana Mendieta untersuchten<br />

diese Unio mystica naturalis, die Verschmelzung des eigenen Seins mit der<br />

Natur, seit den späten 1960er-Jahren. Julian Charrières seltsam schöne Unterwasseraufnahme<br />

der zivilisatorischen Reste beim Bikini-Atoll, einem Testgelände für<br />

Atomwaffen, zeigt auf, was bleibt, wenn wir das Gegenteil zelebrieren, uns als Herren<br />

der Welt verstehen: Wir verwandeln unsere Kulturen in ein Atlantis der ästhetischen<br />

Ödnis. ‹Earth Beats› stellt diese Erkenntnis, dass wir die westliche Dichotomie zwischen<br />

Menschen und Natur überwinden müssen, wenn wir die katastrophalen Auswirkungen<br />

des Klimawandels überleben wollen, in einen historischen Kontext, der<br />

sich selbst konstant befragt, widerspricht und seine vermeintliche Linearität aufzuheben<br />

sucht. Die Arbeit ‹Forest Mind›, <strong>2021</strong>, von Ursula Biemann, eine Zweikanal-<br />

Videoinstallation, kann hier als Schlüssel zu einem neuen Zeitverständnis dienen.<br />

Die Künstlerin dokumentiert einerseits das Weltwissen der indigenen Bevölkerung<br />

im kolumbianischen Teil des Amazonas, das sie gleichzeitig spekulativ mit dem Vokabular<br />

der hegemonialen Wissenschaftssprache des Westens erweitert und befragt.<br />

Mit dem Ziel, diese Sprache zurück in einen poetischen Möglichkeitsraum zu führen,<br />

der uns einen Zugang zu einem integrativen, gleichberechtigten Wissenssystem<br />

für die Zukunft öffnen soll. Wenn dies nun etwas kompliziert formuliert klingt, dann<br />

ist das den komplexen Interdependenzen des Themas geschuldet, einem Umstand,<br />

dem auch die Sammlungsausstellung ‹Earth Beats› nicht entkommen kann und<br />

will. Damian Christinger<br />

→ ‹Earth Beats – Naturbild im Wandel›, Kunsthaus, bis 6.2.<br />

↗ www.kunsthaus.ch<br />

102 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2021</strong>

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