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Kunstbulletin Dezember 2021

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

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Goya ist einer der letzten bedeutenden Hofmaler und ein Erfinder<br />

ungeahnter Welten, der sich schwarzselig und mutig in die<br />

Abgründe des Menschseins wagt: Er, der «glücklich Verzweifelte»,<br />

hat mit hellen und dunklen Bildern einen beeindruckenden<br />

Auftritt in Riehen. Angelika Maass<br />

Da ist er nun, in all seinen Facetten, der Jüngste und am schwersten zu Fassende im<br />

Dreigestirn El Greco – Velázquez – Goya. Die Fondation Beyeler präsentiert den grossen<br />

Neuerer und «Propheten der Moderne» in einer absolut fantastischen und – wie<br />

Miguel Falomir Faus, Direktor des Prado betont –, einer der wichtigsten je gezeigten<br />

Goya-Ausstellungen. «Jede Generation entdeckt ‹ihren› Goya», sagt Kurator Martin<br />

Schwander. Die Schau verdeutlicht: Das Schaffen von Francisco de Goya y Lucientes<br />

(1746–1828) hat nichts an Aktualität eingebüsst und ruft gerade dort, wo es sich am<br />

dunkelsten zeigt, Bilder wach, die unmittelbar mit unserer Zeit zu tun oder sich ins<br />

kollektive Gedächtnis eingeprägt haben. Das geht bei mir so weit, dass bei den wenigen<br />

Stillleben, die Goya geschaffen hat und von denen gleich fünf, während des Spanischen<br />

Unabhängigkeitskrieges entstanden, in der Ausstellung gezeigt werden –<br />

neben der ‹Toten Ente› die toten ‹Goldbrassen ›mit ihren erloschenen grossen Augen,<br />

die Jagdausbeute von sich aneinanderschmiegenden feinschnäbligen ‹Waldschnepfen›,<br />

der blutige Schafskopf, wie mit gebrochenem Auge seine eigenen Fragmente betrachtend,<br />

oder gar die nun gänzlich kopf- und körperlosen drei ‹Lachsscheiben› mit<br />

ihrer gleichsam zum Schrei blutrot geöffneten Mitte –, dass mir also beim Anblick der<br />

toten Kreatur nicht nur das allgegenwärtige, menschenverursachte Tierleid in den<br />

Sinn kommt, sondern ebenso die Leichenberge des Holocaust, die Schlächtereien in<br />

Bosnien, in Ruanda … Nicht mehr wegzudenken, das alles.<br />

Und solche Bilder soll man sich freiwillig antun? Bodo Vischer spricht im Katalog,<br />

im Zusammenhang mit dem Gemälde der Lachsscheiben, von Goyas «pechschwarzem<br />

Pessimismus». Und sieht gerade darin, dass sich der Künstler «der Ausweglosigkeit<br />

der menschlichen Existenz stellt und hierfür bildhafte Aussagen findet, […]<br />

seinen einzigartigen Rang in der Kunstgeschichte» begründet. Doch längst nicht allen<br />

Werken ist derart viel Düsternis eingeschrieben, wie sie wohl grundsätzlich zu<br />

Goya gehört, aber mit den Jahren, der Ertaubung 1793 und der Lebenserfahrung gewachsen<br />

ist. Wirklichkeitssinn und Schönheit machen viele Gemälde zum Ereignis;<br />

geniale Lichtregie, betörende, oft nur auf ein, zwei Akkorde gestimmte Farben tragen<br />

dazu bei, und die vielfach variierende Raumauffassung tut das Ihre. Die Ausstellung<br />

ist weitgehend chronologisch gehängt, malerisches Œuvre und Arbeiten auf Papier<br />

werden gleichberechtigt präsentiert. Bereits das älteste Werk, ‹Der Töpferwarenverkäufer›,<br />

1778/79, einer von vielen Entwürfen für die Königliche Teppich-Manufaktur<br />

in Madrid, zeigt, wie lebendig bewegt und anspielungsreich Goyas Kunst ist, wie<br />

komplex und erfinderisch: Man braucht da nicht alles im Detail zu wissen (manches<br />

erhellt der attraktive Katalog), aber man muss im intensiven Schauen vor den Bildern<br />

40 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2021</strong>

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