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Kunstbulletin Dezember 2021

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

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Camille Pissarro — Keiner wie er<br />

Pissarro im Kontext seiner Zeit: ein Riesenprojekt, verwirklicht<br />

vom Kunstmuseum Basel in neun Kapiteln, die einem die Augen<br />

öffnen für die Grösse dieser prägenden Figur des Impressionismus.<br />

Nach dieser Schau hat man einen neuen Freund gewonnen<br />

und ist eingetaucht in die «Geburtsstunde der Moderne».<br />

Basel — Es passiert immer wieder und hat wohl auch mit dem Älterwerden zu tun,<br />

dass man buchstäblich getroffen und regelrecht verstrickt wird in ein grosses Ganzes.<br />

Auslöser diesmal: Pissarro (1830–1903), seine Zeit und seine Zeitgenossen. Zu<br />

erfahren in ‹Camille Pissarro – Das Atelier der Moderne›, einer umfassenden, klugen<br />

und überaus schönen Schau, erfüllt von Kunst und Leben. Die also vergegenwärtigt,<br />

was Pissarro zu einem grossen Teil ausmacht: realer Boden, Sozialutopie, ganz viel<br />

innere Notwendigkeit; statt Effekt Harmonie und Balance. Nicht zu vergessen seine<br />

Leidenschaft, seine Experimentierfreude und konsequente Weiterentwicklung und<br />

sein Diktum «On n’existe que dans le travail». Pissarro, der Kosmopolit mit bewegter<br />

Biografie – für den jüngeren Cézanne, mit dem er so intensiv zusammenarbeitete<br />

wie mit keinem sonst, war er «der erste Impressionist» und «so etwas wie der liebe<br />

Gott». Als ein Künstler mit Haltung, begabt für Freundschaft und hierarchiefreien,<br />

dem künstlerischen Fortschritt dienenden Austausch, als ein von tiefem Humanismus<br />

geprägter Anarchist tritt er einem in Basel entgegen; zu loyal, um zu ästhetisieren,<br />

insgesamt wunderbar geerdet. Oft in wörtlichem Sinn, wie es gerade in Pissarros<br />

Werken der 1870er-Jahre mit Strassen, Landstrassen und Feldwegen zum Ausdruck<br />

kommt und im profunden Verständnis von Oberfläche, das bei ihm in die Tiefe reicht –<br />

‹Junimorgen bei Pontoise›, ‹Raureif›, ‹Schneelandschaft in Louveciennes›, zauberhaft.<br />

Der ausgezeichnete Katalog trägt viel zur Klärung der eigenen Empfindungen vor<br />

den Bildern bei. «Die Welt kommt uns bei Pissarro entgegen, sie ist ein Ort, den wir<br />

betreten können. Jeder Zentimeter ist von Schwerkraft durchdrungen.» So Timothy<br />

J. Clark, der einen bestärkt, «Pissarros Unvollkommenheiten» als etwas Positives zu<br />

sehen. Die Ausstellung gibt dazu viel Anlass, besonders anhand der zu vergleichendem<br />

Schauen auffordernden Konfrontation mit Gemälden von Cézanne, Monet oder<br />

Gauguin, die «moderner» oder spektakulärer wirken mögen. Pissarro schuf Bilder<br />

des Landlebens, das er selber lebte. Bilder von Lebensraum, in dem nach und nach<br />

die Menschen grösser werden, die Bauernmädchen, die Ährenleserinnen oder – auch<br />

sie von seltsamer Anmut – die Metzgerin auf dem Markt. Werke voller Licht und Atmosphäre,<br />

wie auch die Fensterblicke der späten Jahre: lauter Landschaften, die, so<br />

sagt es Josef Helfenstein, der die Schau zusammen mit Christophe Duvivier kuratiert<br />

hat, «eine komplexe humanistisch gefärbte Dimension besitzen». Angelika Maass<br />

→ ‹Camille Pissarro –Das Atelier der Moderne›, Kunstmuseum Basel, bis 23.1.<br />

↗ www.kunstmuseumbasel.ch<br />

82 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2021</strong>

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