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Kunstbulletin Dezember 2021

Unsere Dezember Ausgabe 2021, mit Beiträgen zu Sonia Kacem, Sophie Bouvier Ausländer, Nicolas Party, The Other Kabul, uvm.

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Walter De Maria — Ein Ruhepol im hektischen Kunstbetrieb<br />

Wenn man derzeit vom hektischen Treiben der Strassen ins<br />

Kunsthaus gespült wird und dort den Bührlesaal betritt, begegnet<br />

man 2000 weissen Gipsbarren, die in geometrischem Raster<br />

ausgelegt sind. Der Raum ist voll und doch leer. Die Wirkung ist<br />

faszinierend und beruhigend, ja hypnotisierend.<br />

Zürich — ‹The 2000 Sculpture› nannte der US-Amerikaner Walter De Maria sein Werk.<br />

Es wurde für den grossen säulenfreien Ausstellungssaal im Kunsthaus konzipiert<br />

und 1992 erstmals gezeigt. De Maria hat vorgängig zehn Jahre lang daran gearbeitet.<br />

Das klingt nach einer sehr langen Entstehungszeit für ein Kunstwerk. Aber wenn man<br />

sich die monumentale Skulptur ansieht, versteht man das sofort.<br />

Jedes einzelne der 2000 Elemente ist circa einen halben Meter lang, knapp 20 cm<br />

hoch und 10 Kilo schwer. Sie wirken durch ihre einheitliche Länge sehr ähnlich, sind<br />

es aber nicht: Sie besitzen fünf, sieben oder neun Kanten. Die Teile wurden auf einer<br />

Fläche von 500 Quadratmetern nach einem exakten Raster ausgelegt. So ergibt sich<br />

ein Fischgrätmuster, das sich zu verändern scheint, wenn man sich selbst bewegt.<br />

Plötzlich sieht man Kreuze, Rauten, Zickzacklinien, Rechtecke und Quadrate, die sich<br />

wie in einem 3D-Bild vor dem eigenen Auge verschieben. Diese Ordnung wirkt extrem<br />

beruhigend, das hier muss ein Paradies für neurotische «Monks» sein.<br />

Die Auseinandersetzung mit mathematischen Grundformen war für Walter De<br />

Marias Arbeiten grundlegend, genauso wie Rhythmus und Musik. Er war ausgebildeter<br />

Schlagzeuger, Mitglied der legendären Band ‹The Velvet Underground› und verbindet<br />

in seinen skulpturalen Werken beide Leidenschaften. So wurde ‹The 2000 Sculpture›<br />

auch schon als «eine riesengrosse Partitur mit sichtbaren Takten» beschrieben.<br />

Gleichzeitig wirken die Farben der Skulptur unerwartet lebendig. Durch den natürlichen<br />

Lichteinfall von oben entfaltet sich ein vielschichtiges Farbspektrum von Grau,<br />

Weiss, Beige und Creme, das eine weitere Musterkomponente generiert. Ein Faszinosum:<br />

Erst die Bewegung des Publikums im Raum eröffnet die Vielschichtigkeit und<br />

spielerische Leichtigkeit der augenscheinlich schweren, trägen Gipsteile.<br />

‹The 2000 Sculpture› trägt in ihrem Namen die damaligen Zukunftshoffnungen<br />

auf den Jahrtausendwechsel in sich. So wurde schon bei der Erstpräsentation fixiert,<br />

dass die Bodenskulptur 1999/2000 nochmals gezeigt wird. Dass sie nun ein drittes<br />

Mal im Kunsthaus zu sehen ist, ist dem Trubel rund um die Eröffnung des benachbarten<br />

Neubaus zu verdanken. Man wollte diesem einen Ruhepol im alten Haus entgegensetzen.<br />

Walter De Maria sah vor, dass das Fenster zur Rückseite des Hauses offen<br />

bleibt und so eine Verbindung zu den Bäumen draussen geschaffen wird. Auch deshalb<br />

ein insgesamt gelungenes Anliegen, das dem Land-Art-Künstler sicher gefallen<br />

hätte. Raffaela Rudigier-Gerer (Schreiben über Kunst, MA Kulturpublizistik ZHdK)<br />

→ ‹Walter De Maria – The 2000 Sculpture›, Kunsthaus, bis 20.2.; mit Katalog ↗ www.kunsthaus.ch<br />

96 <strong>Kunstbulletin</strong> 12/<strong>2021</strong>

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