Jahresgutachten 1998/99 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode Drucksache 14/73<br />
VIERTES KAPITEL<br />
Neue Rahmenbedingungen durch die Europäische Währungsunion<br />
I. Zur Ausgangslage<br />
Die Entscheidung vom 2. Mai <strong>1<strong>99</strong>8</strong><br />
255. Bei dem Europäischen Gipfel in Brüssel Anfang<br />
Mai dieses Jahres entschieden die Staats- und Regierungschefs,<br />
daß mit Belgien, Deutschland, Finnland,<br />
Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden,<br />
Österreich, Portugal und Spanien elf Länder der<br />
Gemeinschaft die notwendigen Voraussetzungen für die<br />
Einführung der gemeinsamen Währung erfüllten und beschlossen<br />
den Eintritt in die dritte Stufe der Europäischen<br />
Währungsunion zum 1. Januar 1<strong>99</strong>9. Damit stellte<br />
der Europäische Rat gemäß einer vorausgegangenen<br />
Empfehlung des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister<br />
(ECOFIN-Rat) fest, daß alle beitrittswilligen Länder<br />
außer Griechenland die im Vertrag von Maastricht niedergelegten<br />
Konvergenzkriterien erfüllten. Dänemark<br />
und das Vereinigte Königreich hatten gemäß den vertraglichen<br />
Regelungen von ihrer Wahlmöglichkeit Gebrauch<br />
gemacht, der Währungsunion jetzt nicht beizutreten.<br />
Schweden hatte angekündigt, nicht sofort teilnehmen<br />
zu wollen, eine Option, die der Vertrag von<br />
Maastricht nicht vorsieht, die in formaler Hinsicht aber<br />
dadurch möglich wurde, daß dieses Land noch nicht dem<br />
Europäischen Währungssystem angehörte und damit das<br />
Wechselkurskriterium nicht erfüllte.<br />
256. Gemäß dem im Maastrichter Vertrag festgelegten<br />
Verfahren hatten vor dieser Entscheidung die Europäische<br />
Kommission und das Europäische Währungsinstitut<br />
Konvergenzberichte vorgelegt. Ende April gab der Zentralbankrat<br />
der Deutschen Bundesbank eine Stellungnahme<br />
<strong>zur</strong> Konvergenzlage in der Europäischen Union<br />
ab, um die er von der Bundesregierung gebeten worden<br />
war. In anderen Mitgliedsländern haben die jeweiligen<br />
Notenbanken ebenfalls Konvergenzberichte verfaßt und<br />
veröffentlicht.<br />
Während Europäische Kommission, Europäisches Währungsinstitut<br />
und Bundesbank die monetären Kriterien<br />
übereinstimmend als erfüllt ansahen, schätzten sie die finanzpolitische<br />
Konvergenzlage unterschiedlich ein. Das<br />
Europäische Währungsinstitut drückte im Falle Italiens<br />
und Belgiens seine Sorge darüber aus, ob die Finanzlage<br />
der öffentlichen Haushalte als dauerhaft tragbar gelten<br />
könne; der Schuldenstand war in Relation zum nominalen<br />
Bruttoinlandsprodukt mit über 120 vH auch im Prüfungsjahr<br />
(1<strong>99</strong>7) noch immer mehr als doppelt so hoch<br />
wie im Vertrag gefordert, zudem hatte sich die Schuldenstandsrelation<br />
nach Meinung des Europäischen Währungsinstituts<br />
nicht deutlich genug <strong>zur</strong>ückgebildet, um<br />
wenigstens insoweit Vertragskonformität zu erreichen (Tabelle<br />
67, Seite 166). Die Deutsche Bundesbank äußerte<br />
selbst bei Berücksichtigung der weiteren Haushaltsplanungen<br />
gravierende Zweifel an einer dauerhaft tragbaren<br />
Finanzlage in diesen Ländern. Aber auch im Falle<br />
Deutschlands, Frankreichs, der Niederlande, Österreichs,<br />
Portugals und Spaniens urteilten das Europäische Währungsinstitut<br />
wie auch die Bundesbank, daß noch erhebliche<br />
weitere Konsolidierungsfortschritte, insbesondere<br />
eine Rückführung der Ausgabenquoten, etwa durch Reformen<br />
bei den Sozialversicherungssystemen, notwendig<br />
seien. Bis auf Finnland, Frankreich und Luxemburg wiesen<br />
im Referenzjahr alle beitrittswilligen Mitgliedstaaten<br />
einen Schuldenstand in Relation zum nominalen Bruttoinlandsprodukt<br />
von mehr als 60 vH aus. Während sich<br />
das Europäische Währungsinstitut seinem vertraglichen<br />
Auftrag gemäß einer Stellungnahme darüber enthielt, ob<br />
es den Konvergenzprozeß als ausreichend für den Beginn<br />
der Währungsunion erachtete, kam die Bundesbank<br />
trotz ihrer ernsten Bedenken zu dem Schluß, daß ein<br />
Eintritt in die Währungsunion ab dem Jahre 1<strong>99</strong>9 stabilitätspolitisch<br />
vertretbar sei, wenn auch mit der Einschränkung,<br />
daß Belgien und Italien weitere substantielle<br />
Konsolidierungsverpflichtungen eingehen müßten.<br />
Anders als das Europäische Währungsinstitut hatte die<br />
Europäische Kommission nach dem Maastricht-Vertrag<br />
das Recht, dem ECOFIN-Rat gegenüber Empfehlungen<br />
darüber auszusprechen, ob ein Land die notwendigen<br />
Voraussetzungen für die Einführung der einheitlichen<br />
Währung erfüllte (Artikel 121 Abs. 2 EGV). Die Europäische<br />
Kommission bescheinigte den Ländern eine eindeutige<br />
Abkehr vom bedenklichen Haushaltsgebaren der<br />
Vergangenheit und beurteilte die Nachhaltigkeit der<br />
Konsolidierungsanstrengungen deutlich besser, als es in<br />
den Berichten des Europäischen Währungsinstituts und<br />
der Bundesbank zum Ausdruck kam. Den Umfang, in<br />
dem Einmalmaßnahmen im Jahre 1<strong>99</strong>7 zum Abbau der<br />
Defizite beigetragen hatten, schätzte die Europäische<br />
Kommission im Vergleich zu den gesamten Konsolidierungsanstrengungen<br />
als gering ein (JG 97 Kasten 8).<br />
Entsprechend empfahl sie dem ECOFIN-Rat, die noch<br />
bestehenden Entscheidungen über das Vorliegen eines<br />
übermäßigen Defizits aufzuheben; dies betraf neben<br />
Belgien und Italien auch Deutschland, Frankreich, Österreich,<br />
Portugal, Schweden und Spanien. Der ECOFIN-<br />
Rat verfuhr sodann gemäß dieser Empfehlung.<br />
257. Während der Gründungsbeschluß <strong>zur</strong> Europäischen<br />
Währungsunion von einem breiten Konsens zwischen<br />
den Staats- und Regierungschefs getragen worden<br />
war, ergab sich ein Konflikt in einer entscheidenden Personalfrage,<br />
die der Ernennung des ersten Präsidenten<br />
der Europäischen Zentralbank. Der Staatspräsident<br />
Frankreichs beharrte auf einem eigenen Bewerber (dem<br />
Gouverneur der Banque de France), obwohl die anderen<br />
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