Jahresgutachten 1998/99 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 14/73 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />
186<br />
erhaft die Kosten grenzüberschreitender Transaktionen.<br />
Der intensiver werdende Wettbewerb auf den<br />
Faktor- und Gütermärkten beschleunigt den Strukturwandel<br />
und verschärft auch den Wettbewerb der<br />
Steuersysteme und der staatlichen Bereitstellung der<br />
Infrastruktur. Aus der Notwendigkeit, die Anpassungsflexibilität<br />
der Volkswirtschaft entsprechend zu<br />
steigern, ergeben sich weitgehende angebotspolitische<br />
Anforderungen an die Finanzpolitik.<br />
Grenzen antizyklischer Finanzpolitik beachten<br />
295. Wenn es den Mitgliedsländern der Währungsunion<br />
gelingt, in der konjunkturellen Normalsituation ausgeglichene<br />
Haushalte vorzulegen, wie es im Stabilitätsund<br />
Wachstumspakt vorgesehen ist, dann eröffnen sich<br />
für den Fall einer Rezession erhebliche Spielräume für<br />
die Finanzpolitik. Im Falle einer Rezession könnte eine<br />
Defizitquote bis zu 3 vH – bei einer schweren Rezession<br />
sogar darüber hinaus – in Anspruch genommen werden,<br />
was in Deutschland derzeit einem Betrag von rund 110<br />
Mrd DM entspräche. Das wird in jedem Fall ausreichend<br />
sein, um die automatischen Steuermindereinnahmen und<br />
Ausgabenerhöhungen, die bei rezessiver Entwicklung zu<br />
erwarten sind, zuzulassen; die so bedingten konjunkturellen<br />
Defizite könnten also und sollten grundsätzlich<br />
auch akzeptiert werden. Im Falle eines drastischen<br />
Nachfragerückgangs wäre auch eine antizyklische Finanzpolitik<br />
über diskretionäre Ausgabenerhöhungen und<br />
Steuersenkungen finanzierbar. Allerdings sind dabei<br />
Grenzen zu beachten.<br />
296. Gegen eine Stabilisierungspolitik über „deficit<br />
spending“ bestehen Bedenken, die der <strong>Sachverständigenrat</strong><br />
wiederholt vorgetragen hat (JG 97 Ziffern<br />
296 ff.). Sie ist vom Ansatz her nur dann vertretbar,<br />
wenn die Störungen im Wachstumsprozeß eindeutig<br />
durch Nachfrageschwankungen verursacht sind. Eine<br />
solche Nachfragepolitik stößt zudem auf erhebliche<br />
Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung. Sollen<br />
durch diskretionäre Eingriffe Nachfrageimpulse vermittelt<br />
werden, so müssen sie nach Zeit und Umfang richtig<br />
dosiert werden, was angesichts der relativ langen Entscheidungs-,<br />
Handlungs- und Wirkungsverzögerungen<br />
außerordentlich schwer ist. Das kann – wie die Erfahrung<br />
zeigt – dazu führen, daß statt der gewünschten Stabilisierung<br />
eine Destabilisierung eintritt.<br />
Zudem müssen bei einer antizyklischen Finanzpolitik<br />
die Spielregeln in dem Sinne eingehalten werden, daß<br />
nicht nur bei Nachfrageschwäche positive Nachfrageimpulse<br />
geschaffen werden, sondern daß bei verbesserter<br />
Konjunkturlage auch dämpfend auf die Nachfrage eingewirkt<br />
wird, konkret: Es müssen Überschüsse im<br />
Haushalt gebildet werden, die <strong>zur</strong> Rückzahlung von<br />
Schulden zu nutzen sind. Dies fällt im politischen Prozeß<br />
schwer, so daß antizyklische Finanzpolitik oft<br />
asymmetrisch eingesetzt wird. Das dürfte in einer Hochkonjunktur<br />
die Verwirklichung der Ziele des Stabilitätsund<br />
Wachstumspakts erschweren. Ausufernde Defizite<br />
und wachsende Schulden engen zukünftige Handlungsspielräume<br />
ein und haben negative Auswirkungen auf<br />
die Erwartungen der Marktteilnehmer. Sofern man eine<br />
antizyklische Politik betreibt, sollte das dazu eingesetzte<br />
Instrumentarium entsprechend ausgestaltet sein: Änderungen<br />
bei den öffentlichen Einnahmen und den öffentlichen<br />
Ausgaben sind zeitlich zu begrenzen und in ihrem<br />
Volumen an Indikatoren zu binden, die den Konjunkturverlauf<br />
widerspiegeln. Anstelle einer strengen Regelbindung<br />
wäre auch an den Einsatz von Eventualhaushalten<br />
zu denken, die für alternative konjunkturpolitische Szenarien<br />
aufgestellt werden und über einen voraus festgelegten<br />
Zeitraum auszugleichen sind.<br />
297. Die Erfolgsaussichten einer nationalen antizyklischen<br />
Finanzpolitik sind in der Währungsunion zusätzlich<br />
stark eingeschränkt. Nachfragestimulierende Maßnahmen<br />
in einem Land verfehlen ihren Zweck, wenn die<br />
zusätzliche Nachfrage nicht durch inländische Produktion,<br />
sondern durch Importe gedeckt wird. Damit ist zu<br />
rechnen, weil es aufgrund der monetären Integration zu<br />
einer weiteren Intensivierung der Handelsbeziehungen<br />
zwischen den Teilnehmern kommen wird. Insbesondere<br />
kleine Länder mit relativ hoher Importquote werden<br />
deshalb möglicherweise trotz bestehender Spielräume zu<br />
einer Nachfragepolitik gar nicht dazu bereit sein: Sie<br />
müssen die Kosten eines solchen Programms tragen, die<br />
Nutzen aber mit anderen teilen. Von daher mag ein<br />
Druck entstehen, konjunkturpolitische Kompetenzen auf<br />
die Zentralebene zu übertragen. Davor muß gewarnt<br />
werden: Der EU-Gesamthaushalt ist dafür nicht geeignet,<br />
weil das Ausgabenvolumen auf 1,27 vH in Relation<br />
zum gesamten nominalen Bruttosozialprodukt der Mitgliedsländer<br />
begrenzt ist und der Haushalt für alle 15<br />
Mitgliedsländer und nicht nur für die 11 Teilnehmer an<br />
der Währungsunion gilt. Zudem kennt der EU-Haushalt<br />
keine Kreditfinanzierung, die jedoch für eine antizyklische<br />
Konjunkturpolitik unabdingbar wäre. Eine Ausweitung<br />
und partielle Kreditfinanzierung des EU-<br />
Haushalts sollte aber unter keinen Umständen zugelassen<br />
werden (JG 95 Ziffer 445).<br />
298. Das mag zu der Forderung führen, dann wenigstens<br />
eine Koordinierung der Finanzpolitik in der Währungsunion<br />
anzustreben. Artikel <strong>99</strong> Abs. 1 EG-Vertrag<br />
sieht vor, daß die Mitgliedsländer ihre Wirtschaftspolitik<br />
koordinieren, um <strong>zur</strong> Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft<br />
beizutragen. Solange die nationalen Konjunkturen<br />
in den Teilnehmerländern der Währungsunion<br />
asynchron verlaufen, lassen sich nationale Finanzpolitiken,<br />
soweit sie auf die Konjunktur bezogen sind, nicht<br />
koordinieren. Sie müssen sich entgegengerichtet entwikkeln.<br />
Bei gleicher Konjunkturlage sind gleichgerichtete<br />
Maßnahmen angezeigt. Hierzu mag es hilfreich sein, daß<br />
die finanzpolitischen Entscheidungsträger in den einzelnen<br />
Ländern von einem einheitlichen Diagnosebild ausgehen<br />
und sich auch über die Zielsetzungen der Finanzpolitik<br />
einig werden. Gegen eine solche Koordinierung<br />
in der Orientierung spricht nichts (JG 97 Ziffer 417).<br />
Über den Stabilitäts- und Wachstumspakt und über<br />
Maßnahmen der Steuerharmonisierung sind schon heute<br />
Obergrenzen für die Kreditaufnahme und Mindeststeuersätze<br />
(zum Beispiel bei der Mehrwertsteuer) vereinbart.<br />
Darüber hinaus sollte allerdings die Koordinierung<br />
des finanzpolitischen Instrumentariums nicht gehen, jedenfalls<br />
solange nicht, wie es der Europäischen Union