Jahresgutachten 1998/99 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Regulierungsdichte nicht erhöhen<br />
433. Die neue Bundesregierung hat einige Maßnahmen<br />
angekündigt, die nach unserer Einschätzung von dem Erfordernis<br />
wegführen, die Flexibilität auf dem deutschen<br />
Arbeitsmarkt zu erhöhen. Geplant sind unter anderem<br />
die Einbeziehung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse<br />
in die Sozialversicherungspflicht, die Änderung<br />
einiger gesetzlicher Regelungen beim Kündigungsschutz<br />
und bei Leistungsansprüchen sowie die Verlängerung<br />
des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes.<br />
434. Die Regelungen über die Steuer- und Sozialversicherungspflicht<br />
der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse<br />
sollen zum 1. Januar 1<strong>99</strong>9 neu gefaßt werden.<br />
In der Diskussion ist, die bisherigen Einkommensgrenzen<br />
in Höhe von 620 DM für Westdeutschland und<br />
520 DM für Ostdeutschland um jeweils 10 DM zu erhöhen,<br />
eine einheitlich 300 DM-Grenze neu einzuführen<br />
und diese im Gegensatz <strong>zur</strong> 630 DM/530 DM-Grenze<br />
nicht zu dynamisieren, sondern festzuschreiben.<br />
Beschäftigungsverhältnisse mit einem monatlichen Entgelt<br />
von zusammengenommen weniger als 300 DM sollen<br />
nach bisherigen Planungen generell sozialversicherungsfrei<br />
sein, der Arbeitgeber entrichtet wie bisher die<br />
pauschale Lohnsteuer in Höhe von 20 vH zuzüglich Kirchensteuer<br />
und Solidaritätszuschlag. Für Monatsentgelte<br />
zwischen 300 DM und 630 DM/530 DM sollen Arbeitgeberbeiträge<br />
<strong>zur</strong> Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und<br />
Pflegeversicherung von zusammen rund 21 vH entrichtet<br />
werden, dafür soll die bisherige pauschale Lohnsteuer<br />
grundsätzlich entfallen. Die Arbeitnehmer müssen ebenfalls<br />
Beiträge <strong>zur</strong> Sozialversicherung entrichten. Welche<br />
Ansprüche an die Rentenversicherung die Arbeitnehmer<br />
erwerben würden, ist noch umstritten. Darüber hinaus<br />
sollen die Arbeitnehmer, sofern sie die Einkommensgrenze<br />
von 300 DM überschreiten, künftig die Lohnsteuer<br />
zahlen, die ihnen im folgenden Jahr <strong>zur</strong>ückerstattet<br />
wird, sofern ihr zu versteuerndes Einkommen die Freibeträge<br />
bei der Einkommensteuer nicht übersteigt. Ausgenommen<br />
von diesen Regelungen sollen Schüler, Studenten,<br />
Rentner und Saisonarbeitskräfte bleiben; wie<br />
bisher würde dann dieser Personenkreis bis zu<br />
50 Arbeitstage oder zwei Monate im Jahr beitragsfrei arbeiten<br />
dürfen. Die Regelungen wären für die Unternehmen<br />
– so die Einschätzung der Bundesregierung – kostenneutral,<br />
während die Arbeitnehmer dagegen einen<br />
Rückgang des Nettolohns hinnehmen müßten. Überdies<br />
würde der Verwaltungsaufwand steigen.<br />
Für eine Freistellung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse<br />
von der Sozialversicherungspflicht spricht,<br />
daß damit zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten entstehen<br />
können, nicht zuletzt wegen der flexiblen zeitlichen<br />
Einsatzmöglichkeiten. Allerdings wäre eine bloße<br />
Zerlegung von Vollzeitarbeitsplätzen in geringfügige<br />
Beschäftigungsverhältnisse problematisch. Die Einnahmen<br />
der Sozialversicherung würden <strong>zur</strong>ückgehen, eine<br />
Anhebung der Beitragssätze würde erforderlich mit der<br />
Folge, daß sich die Tendenz, bestehende Vollzeitarbeitsplätze<br />
in geringfügige Beschäftigungsverhältnisse umzuwandeln,<br />
noch verstärken würde. Es liegen jedoch<br />
keine empirischen Erkenntnisse vor, daß eine solche<br />
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode Drucksache 14/73<br />
Zerlegung tatsächlich in großem Umfang vorgenommen<br />
würde; ein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht daher<br />
nicht.<br />
Ähnliche Überlegungen gelten für die Entwicklung der<br />
sogenannten Scheinselbständigkeit. Als Scheinselbständige<br />
werden Personen verstanden, die eigentlich typische<br />
Arbeitnehmertätigkeiten ausführen, jedoch formal als<br />
Selbständige gelten und damit nicht Pflichtmitglieder in<br />
der Sozialversicherung sind. Die in der Rechtsprechung<br />
und Fachliteratur verwendeten Kriterien <strong>zur</strong> Abgrenzung<br />
dieses Personenkreises von beschäftigten Arbeitnehmern<br />
– wie beispielsweise die persönliche Weisungsgebundenheit,<br />
die Eingliederung in die Organisation des Auftraggebers<br />
und die Verteilung der unternehmerischen<br />
Chancen und Risiken – erlauben indessen keine eindeutige<br />
Trennung (JG 97 Ziffer 153). Daß ein Tatbestand<br />
operational schwer zu definieren ist, heißt nicht, ihm<br />
keine Bedeutung zuzumessen oder jeglichen Handlungsbedarf<br />
abzustreiten. Mit der Leitidee, möglichst viele<br />
Erwerbstätige in die Sozialversicherungspflicht zu zwingen<br />
und mit punktuellen Maßnahmen wird die Bundesregierung<br />
dem Problem der Scheinselbständigkeit aber<br />
nicht wirklich beikommen. Es dürfte zu immer neuen,<br />
rechtlich schwer festzumachenden Ausweichreaktionen<br />
kommen.<br />
435. Eng verwandt mit der Änderung der genannten<br />
Regelungen auf dem Arbeitsmarkt ist die in der Koalitionsvereinbarung<br />
bekundete Absicht der Bundesregierung,<br />
Arbeitnehmerrechte dadurch zu sichern, daß als<br />
„Fehlentscheidungen“ bezeichnete, von der vorangegangenen<br />
Bundesregierung vorgenommene Änderungen<br />
beim Kündigungsschutz, bei der Lohnfortzahlung im<br />
Krankheitsfall und beim Schlechtwettergeld „korrigiert“<br />
werden.<br />
– Die Novellierung des Kündigungsschutzgesetzes<br />
durch die alte Regierung war zum 1. Oktober 1<strong>99</strong>6 in<br />
Kraft getreten. Zum einen wurde der Schwellenwert,<br />
bis zu dem das Kündigungsschutzgesetz nicht gilt,<br />
von fünf auf zehn Arbeitnehmer im jeweiligen Unternehmen<br />
angehoben, zum anderen wurde die Sozialauswahl<br />
auf die Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter<br />
und Unterhaltspflicht des jeweiligen Arbeitnehmers<br />
beschränkt (JG 96 Ziffer 137). Mit der Novellierung<br />
war die Erwartung verbunden, daß die mit<br />
der Anhebung des Schwellenwertes einhergehende<br />
höhere Flexibilität, gerade bei kleinen (Handwerks-)Betrieben,<br />
und die mit der präziseren Fassung<br />
der Regeln für die Sozialauswahl einhergehende<br />
Rechtssicherheit tendenziell das Einstellungsverhalten<br />
positiv beeinflussen würden. Es ist zu früh, um sich<br />
ein Urteil über mögliche Beschäftigungsgewinne bilden<br />
zu können.<br />
– Hinsichtlich des Gesetzes über die Lohnfortzahlung<br />
im Krankheitsfall ist die Wiederherstellung der Gesetzeslage<br />
vor der Neuregelung ebenfalls sehr problematisch.<br />
Die damalige Novellierung der Bestimmungen<br />
bezog sich im wesentlichen darauf, die Lohnfortzahlung<br />
auf 80 vH des letzten Bruttoentgeltes zu beschränken<br />
(vorher: 100 vH) oder bei fünf Krankheitstagen<br />
einen Urlaubstag an<strong>zur</strong>echnen. Mittlerweile<br />
ist die Lohnfortzahlung in den meisten Tarif-<br />
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