Jahresgutachten 1998/99 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
Jahresgutachten 1998/99 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
Jahresgutachten 1998/99 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
gungssituation in einem Mitgliedsland sich positiv auf<br />
Investitionen, Privaten Verbrauch und Importe auswirkt.<br />
Dies strahlt auf die anderen Länder des gemeinsamen<br />
Währungsraums aus.<br />
Die Befürchtung eines Lohnwettbewerbs nach unten<br />
taucht auch im Gewand eines Abwertungswettlaufs bei<br />
den realen Wechselkursen auf. Richtig ist, daß innerhalb<br />
des Euro-Währungsraums reale Wechselkursänderungen<br />
stattfinden werden. Dies heißt, daß sich Relativpreise<br />
ändern, insbesondere die Preise der international handelbaren<br />
Güter relativ zu den nicht-handelbaren Gütern<br />
und die Preise der international mobilen relativ zu den<br />
immobilen Produktionsfaktoren (JG 95 Ziffer 444).<br />
Richtig ist auch, daß ein Land, das in eine Krise gerät,<br />
durch eine reale Abwertung wieder ein neues gesamtwirtschaftliches<br />
Gleichgewicht – und zwar sowohl binnenwirtschaftlich<br />
wie außenwirtschaftlich – finden muß.<br />
Sobald dieses erreicht ist, gibt es jedoch keinen Grund<br />
mehr für reale Wechselkursänderungen. Aus der Notwendigkeit<br />
realer Wechselkursänderungen – also relativer<br />
Preisänderungen – läßt sich nicht folgern, daß es zu<br />
einem realen Abwertungswettlauf nach unten kommt.<br />
Relativpreisänderungen sind vielmehr ein wichtiges und<br />
normales Instrument der Anpassung bei einem güterwirtschaftlichen<br />
Ungleichgewicht in einer Volkswirtschaft.<br />
318. Für Tariflohnanhebungen im Ausmaß des Produktivitätsanstiegs<br />
auch bei hoher Arbeitslosigkeit in<br />
den Ländern der Währungsunion wird ferner angeführt,<br />
daß über die höheren Löhne mehr Kaufkraft entstünde<br />
und daß damit die Binnennachfrage gestärkt werde. Eine<br />
Lohn<strong>zur</strong>ückhaltung dagegen würde die gesamtwirtschaftliche<br />
Nachfrage schwächen, und zwar vor allem<br />
dann, wenn mehrere Länder der Währungsunion gleichzeitig<br />
Lohn<strong>zur</strong>ückhaltung übten. Damit ließe sich aber<br />
mehr Beschäftigung nicht erreichen.<br />
Diese Argumentation ist nicht überzeugend. Eine höhere<br />
Nominallohnanhebung würde – für sich genommen –<br />
zunächst zwar ein höheres Nominaleinkommen mit sich<br />
bringen, aber nur für die bereits Beschäftigten; darüber<br />
hinaus berücksichtigt die Argumentation andere Wirkungsketten<br />
überhaupt nicht. Die Lohnerhöhung würde<br />
die Unternehmen als Kostensteigerung direkt treffen,<br />
während sich die zusätzliche Nachfrage aus dem höheren<br />
Nominaleinkommen, zudem nach Absickerverlusten,<br />
nur mittelbar bemerkbar machen würde: Eine moderate<br />
Lohnpolitik ist für die Unternehmen in den einzelnen<br />
Ländern ein Anreiz, auf mittlere Frist verstärkt<br />
Arbeitskräfte einzustellen; sie verbessert gleichzeitig die<br />
Bedingungen für die Investitionstätigkeit, was sich wiederum<br />
günstig auf die Beschäftigung auswirkt (Ziffer<br />
424). Dies hat positive Effekte auf die anderen Länder.<br />
Angesichts der Schwäche gerade bei den Ausrüstungsinvestitionen<br />
wichtiger kontinentaleuropäischer Länder<br />
– auch Deutschlands – in den neunziger Jahren kommt<br />
es für die Lohnpolitik darauf an, einen mittelfristig verläßlichen<br />
Kurs zu steuern, wenn die am aktuellen Rand<br />
zu verzeichnende Belebung der Investitionen nicht wieder<br />
erlahmen soll. Ein positiver Erwartungseffekt durch<br />
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode Drucksache 14/73<br />
die Lohnpolitik setzt langen Atem und Beharrlichkeit<br />
voraus, wie es andere Länder – beispielsweise die Niederlande<br />
– vorgemacht haben. Wenn in den Ländern der<br />
Währungsunion eine solche beschäftigungsorientierte<br />
Lohnpolitik jetzt und in den nächsten Jahren mit Verläßlichkeit<br />
betrieben wird, so wird sich ein günstiges<br />
Klima für die Investitionen breitmachen, in dem Europa<br />
vielleicht wieder einmal ähnlich hohe Zuwachsraten der<br />
Ausrüstungsinvestitionen erreichen kann wie die Vereinigten<br />
Staaten. Indem über die verstärkte Kapitalbildung<br />
ein langandauernder Wachstumsprozeß in Gang kommt,<br />
wird dann auch die Beschäftigung in nennenswertem<br />
Ausmaß mitgezogen. Zu bedenken ist auch, daß die<br />
Mitgliedsländer der Währungsunion insgesamt durch<br />
Lohn<strong>zur</strong>ückhaltung wettbewerbsfähiger bei ihren Exporten<br />
(und bei den Importsubstituten) werden; dies stimuliert<br />
die Exporte (also die gesamtwirtschaftliche<br />
Nachfrage) und die Beschäftigung, selbst wenn es durch<br />
die vermehrten Exporte zu einer Aufwertung des Euro<br />
kommen sollte (JG 96 Ziffer 316). Völlig verfehlt wäre<br />
es, die Furcht vor der Deflation zum wirtschaftspolitischen<br />
Ratgeber zu machen; dies ist im Euro-<br />
Währungsraum mit einer für das Jahr 1<strong>99</strong>9 prognostizierten<br />
Zuwachsrate der gesamtwirtschaftlichen Produktion<br />
von knapp 2½ vH schwerlich angebracht.<br />
Für größere Flexibilität sorgen<br />
319. Die räumliche Differenzierung der Arbeitskosten<br />
im Einklang mit den nationalen Produktivitäten ist das<br />
eine zentrale Erfordernis für die Lohnpolitik in den Mitgliedstaaten<br />
der Europäischen Währungsunion. Das andere<br />
ist, daß die Arbeitsmärkte in den Mitgliedsländern<br />
flexibler werden müssen. Die Rolle des Wechselkurses,<br />
der bisher für die Bewältigung von Anpassungsprozessen<br />
eingesetzt werden konnte, müssen nun im Euro-<br />
Währungsraum die Relativpreise übernehmen, also die<br />
Preise für Güter, insbesondere zwischen den international<br />
handelbaren und den nicht-handelbaren Gütern, und<br />
die Preise der Produktionsfaktoren, insbesondere zwischen<br />
den international mobilen und den immobilen.<br />
Den Löhnen kommt dabei besondere Bedeutung zu. Die<br />
relativen Preise müssen die Anpassung an ein neues<br />
Gleichgewicht steuern, wenn sich ein exogener Schock<br />
asymmetrisch in der Währungsunion auswirkt, also ein<br />
Angebotsschock wie etwa eine Ölkrise die erdölimportabhängigen<br />
Volkswirtschaften intensiver trifft als die<br />
anderen Volkswirtschaften oder das Vordringen der<br />
auf stärker arbeitsintensive Produkte spezialisierten<br />
Schwellenländer sich eher auf die Peripherie des gemeinsamen<br />
Währungsraums auswirkt als auf die Kernländer.<br />
Veränderungen der relativen Preise sind auch<br />
dann gefragt, wenn einige Länder auf einen wirtschaftlichen<br />
Schock, der sich für die Währungsunion insgesamt<br />
symmetrisch darstellt, flexibler reagieren als andere,<br />
beispielsweise in ihrer Lohnfindung, aber auch aufgrund<br />
der institutionellen Regelungen der Güter- und Arbeitsmärkte.<br />
Schließlich werden, wenn sich hausgemachte<br />
wirtschaftspolitische Probleme in dem einen oder anderen<br />
Land einstellen und verfestigen, etwa weil die Politik<br />
zu wenig Problemlösungskompetenz hat und schon<br />
deshalb notwendige Anpassungen an die neuen welt-<br />
197