Jahresgutachten 1998/99 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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dies wiederholt beklagen müssen, daß die Flexibilität<br />
des Arbeitsmarktes gemessen am bestehenden Anpassungsbedarf<br />
un<strong>zur</strong>eichend ist (JG 97 Ziffern 363 ff.); die<br />
sich auch dadurch auf hohem Niveau verfestigende Arbeitslosigkeit<br />
und die Unsicherheit über die künftigen<br />
Beschäftigungschancen mögen den Konsum gebremst<br />
haben. Es gibt keinen Beleg dafür, daß Unternehmen<br />
und private Haushalte wegen der gegenwärtigen Zinsen<br />
nicht zusätzlich investieren und konsumieren. In anderen<br />
Euro-Teilnehmerländern liegen die Verhältnisse ähnlich,<br />
wie zahlreiche Studien dargelegt haben. Entsprechend<br />
sind die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen für die<br />
Wiedergewinnung von wirtschaftlicher Dynamik im Euro-Währungsraum<br />
in anderen Bereichen als den der<br />
Geldpolitik aufzusuchen, namentlich in der Finanzpolitik,<br />
der Sozialpolitik und der Lohnpolitik einschließlich<br />
der Arbeitsmarktpolitik. Die europäische Geldpolitik<br />
wäre vollkommen überfordert, ließe sie sich für die Lösung<br />
struktureller Probleme einspannen. Sie wird gerade<br />
unter wachstumspolitischen und beschäftigungspolitischen<br />
Gesichtspunkten als Stabilitätspolitik gebraucht,<br />
und das ist die Aufgabe, die sie meistern kann. Damit<br />
sich die Europäische Zentralbank dabei möglichst gut<br />
gegenüber politischem Drängen nach einer laxen Geldpolitik<br />
schützen kann, ist ihr eine Strategie an<strong>zur</strong>aten,<br />
bei der sie sich in Bezug auf die Geldmengenentwicklung<br />
selbst glaubwürdig bindet.<br />
Strategische Weichenstellungen<br />
281. Damit das Euro-Geld gutes Geld wird, muß es<br />
knapp sein. Knapp sein bedeutet: Die Geldversorgung<br />
im Euro-Währungsraum reicht aus, um die Transaktionen<br />
zu finanzieren, die für eine normale Auslastung des<br />
(wachsenden) Produktionspotentials erforderlich sind;<br />
wohlgemerkt, die Geldnachfrage <strong>zur</strong> Nutzung von Produktionsmöglichkeiten<br />
steht im Vordergrund, nicht die<br />
Finanzierung von Preissteigerungen, die über das hinausgehen,<br />
was angesichts von Preisrigiditäten mittelfristig<br />
unvermeidlich sein mag. Zwar kann die Europäische<br />
Zentralbank nicht erzwingen, daß die bereitgestellte<br />
Geldmenge durch die Akteure an den Märkten für eine<br />
Ausweitung der Produktion, letztlich auch der Beschäftigung,<br />
bei einem weitgehend stabilen Preisniveau genutzt<br />
wird; im Zuge von Verteilungskämpfen in gleich<br />
mehreren Teilnehmerländern könnte es auch zu einer<br />
Beschleunigung des Preisniveauanstiegs kommen, die<br />
die Geldnachfrage zusätzlich erhöht. Wenn freilich die<br />
Notenbank erst einmal klargemacht hat, was sie für die<br />
normale europäische Geldversorgung hält, würde die Finanzierung<br />
von übermäßigen Preisniveausteigerungen<br />
die übrigbleibende Euro-Geldmenge in einer Weise verknappen,<br />
die den Spielraum für die realwirtschaftliche<br />
Aktivität verengt. Die Verantwortung hätten jene zu tragen,<br />
die sich stabilitätswidrig verhalten. Im Sinne der<br />
sauberen Abgrenzung von Aufgaben- und Verantwortungsbereichen<br />
darf dies anders gar nicht sein (JG 97<br />
Ziffer 294). Reputation als Hüterin der Euro-Stabilität<br />
zu gewinnen wird der Europäischen Zentralbank schon<br />
schwer genug fallen. Sie kann daher nicht zulassen, daß<br />
in der Öffentlichkeit auch nur der Eindruck entsteht, sie<br />
agiere im Schlepptau von Partikularinteressen, für die<br />
Geldwertstabilität nicht vorrangig sei.<br />
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode Drucksache 14/73<br />
282. Für die Objektivierung der Geldversorgung im<br />
Euro-Währungsraum ist es ratsam, die diskretionären<br />
Entscheidungsspielräume der Notenbank möglichst<br />
klein zu halten und nach einer festzulegenden geldpolitischen<br />
Regel zu verfahren. Die Regelbindung ist ein institutionelles<br />
Arrangement, bei dem die Probleme der<br />
Zeitinkonsistenz optimaler Strategien, die in der Geldpolitik<br />
auftreten können, verringert werden. Die Regelbindung<br />
sollte zwar nicht starr sein; die Europäische<br />
Zentralbank muß in unerwarteten Ausnahmesituationen<br />
(bei exogenen Schocks) reagieren können. Aber die Flexibilität<br />
darf nicht beliebig sein, sie hat unter einem<br />
strengen Begründungsvorbehalt zu stehen. Die Vorteilhaftigkeit<br />
der Regelbindung im Vergleich zum diskretionären<br />
Handlungsspielraum wird sich schon im Innenverhältnis<br />
des ESZB zeigen: Die Entscheidungsprozesse<br />
werden einfacher, wenn im EZB-Rat nicht immer wieder<br />
aufs neue Grundsatzdebatten darüber ausbrechen, ob<br />
und gegebenenfalls welcher geldpolitische Handlungsbedarf<br />
besteht. Hinzu kommt die positive Außenwirkung:<br />
Mit der geldpolitischen Regelbindung signalisiert<br />
die Europäische Zentralbank allen Euro-Teilnehmerländern<br />
den Verzicht auf eine aktive Konjunkturpolitik<br />
und den Willen, Versuche einer direkten oder indirekten<br />
politischen Einflußnahme zu Lasten des Ziels der Geldwertstabilität<br />
<strong>zur</strong>ückzuweisen. Das wird der Notenbank<br />
helfen, Reputation aufzubauen. Der <strong>Sachverständigenrat</strong><br />
unterstützt daher die Entscheidung des EZB-Rates, eine<br />
regelgebundene Geldpolitik betreiben zu wollen.<br />
283. Seit der Gründung der Europäischen Zentralbank<br />
am 1. Juli <strong>1<strong>99</strong>8</strong> beschäftigt sich die Öffentlichkeit intensiv<br />
mit der Frage, welche geldpolitische Konzeption für<br />
die Regelbindung am besten geeignet sei. Von den verschiedenen<br />
Modellen, die in der Wissenschaft diskutiert<br />
und bisher in den Euro-Teilnehmerländern, mitunter in<br />
abgewandelter Form, angewandt wurden, standen zwei<br />
<strong>zur</strong> Debatte: die zielgerechte Geldmengensteuerung,<br />
orientiert am Wachstum des gesamtwirtschaftlichen Produktionspotentials,<br />
und die zielgerechte Steuerung der<br />
Preisniveauentwicklung. In beiden Konzeptionen geht es<br />
um das gleiche: die Kontrolle der Inflation. Der Unterschied<br />
liegt in der Einschätzung der Steuerbarkeit der<br />
jeweiligen Zielgröße (Geldmenge oder Preissteigerungsrate)<br />
und im Grad der jeweiligen Selbstbindung. Hierzu<br />
gibt es in Fachkreisen unterschiedliche Auffassungen.<br />
Der <strong>Sachverständigenrat</strong> hat im <strong>Jahresgutachten</strong> 1<strong>99</strong>7/98<br />
(Ziffern 393 ff.) nach Abwägung der maßgeblichen Gesichtspunkte<br />
die Konzeption einer potentialorientierten<br />
Geldmengenpolitik für den Euro-Währungsraum befürwortet.<br />
An dieser Linie halten wir fest. Die Ratio ist, daß<br />
die Notenbank mit ihrer Geldpolitik an etwas gebunden<br />
werden sollte, was sie unmittelbar und rasch beeinflussen<br />
und damit auch verantworten kann. Bei der monetären<br />
Expansion ist das der Fall, während zinspolitische<br />
Maßnahmen auf die Teuerungsrate nicht direkt und nur<br />
mit mehr oder weniger großer Zeitverzögerung wirken<br />
(in der Bundesrepublik, ökonometrischen Studien zufolge,<br />
beträgt der Wirkungs-Lag etwa zwei Jahre). Mit der<br />
Geldmenge als Zwischenzielgröße hat daher die Notenbank<br />
einen Kompaß, der ihr zeigt, ob sie stabilitätspolitisch<br />
auf dem richtigen Weg ist. Wegen ihrer Fähigkeit,<br />
die monetäre Expansion an der Geldbasis zu bestimmen,<br />
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