Jahresgutachten 1998/99 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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Drucksache 14/73 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />
220<br />
SECHSTES KAPITEL<br />
Zur wirtschaftspolitischen Agenda – Wege und Irrwege<br />
I. Finanzpolitik: Steuerreform, Haushaltssanierung,<br />
Reform der Finanzverfassung<br />
373. Die Finanzpolitik steht am Beginn der neuen Legislaturperiode<br />
des Deutschen Bundestages vor einer<br />
schwierigen Ausgangssituation. Sie muß auf der einen<br />
Seite die nach wie vor hohe Abgabenbelastung absenken,<br />
um damit im privaten Bereich Anreize für Investitionen<br />
und Leistungen zu schaffen, also die Rahmenbedingungen<br />
für mehr Wachstum und Beschäftigung zu<br />
verbessern. Auf der anderen Seite muß sie die hohe<br />
Staatsverschuldung <strong>zur</strong>ückführen, allein schon deshalb,<br />
weil über den Stabilitäts- und Wachstumspakt verschärfte<br />
konsolidierungspolitische Anforderungen entstanden<br />
sind. Diese Aufgaben sind nur zu lösen, wenn<br />
gleichzeitig die Staatsausgaben und damit die Staatsquote<br />
abgesenkt werden. Da die neue Bundesregierung<br />
in ihrem finanzpolitischen Programm für die nächsten<br />
vier Jahre Steuerentlastungen und den Abbau der Defizite<br />
in Aussicht stellt, muß sie – um Glaubwürdigkeit<br />
und Vertrauen zu gewinnen – die Ausgaben benennen,<br />
die sie dafür zu kürzen gedenkt. Dies gilt um so mehr,<br />
als nach dem Regierungsprogramm neue und höhere<br />
Ausgaben angekündigt und schon erreichte (oder für die<br />
Zukunft geplante) Einsparungen wieder rückgängig gemacht<br />
werden sollen. Dazu fehlen bisher konkrete Aussagen.<br />
Es bleibt jedoch dabei: Senkung der Steuerlast<br />
und Verringerung der Nettokreditaufnahme verlangen<br />
Ausgabenkürzungen.<br />
Im Zentrum: Reform der Einkommensteuer<br />
374. Die neue Bundesregierung hat unmittelbar nach<br />
ihrem Amtsantritt den Entwurf eines Steuerentlastungsgesetzes<br />
1<strong>99</strong>9/2000/2002 vorgelegt. Im Mittelpunkt steht<br />
dabei die Reform der Einkommensteuer. Sie soll in erster<br />
Linie <strong>zur</strong> Verbesserung der Beschäftigungslage beitragen,<br />
aber auch zu einer einfacheren und gerechteren<br />
Besteuerung. Das wird unseres Erachtens nur gelingen,<br />
wenn die Steuerreform drei Bedingungen erfüllt: Deutliche<br />
Tarifsenkung, systematische Erweiterung der Bemessungsgrundlage<br />
und fühlbare Nettoentlastung für die<br />
Bürger und Unternehmen.<br />
Tarif über den gesamten Verlauf senken<br />
375. Um zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, müssen<br />
stärkere Anreize für Leistungs- und Investitionsbereitschaft<br />
gesetzt und muß Deutschland wieder zu einem attraktiven<br />
Standort für inländische und ausländische Investoren<br />
gemacht werden. Ein besonderes Investitionshemmnis<br />
stellen die hohen Grenzsteuersätze dar. Eine<br />
wachstums- und beschäftigungspolitisch orientierte<br />
Steuerreform muß auf eine deutliche Senkung der<br />
Grenzsteuersätze über den gesamten Verlauf des Tarifs<br />
abzielen.<br />
Die Bundesregierung will in drei Schritten (in den<br />
Jahren 1<strong>99</strong>9, 2000 und 2002) den Grundfreibetrag auf<br />
14 000 DM anheben, den Eingangssteuersatz auf<br />
19,9 vH und den Spitzensteuersatz beginnend bei einem<br />
Einkommen von rund 107 500 DM statt bisher rund<br />
120 000 DM (bei Ledigen) auf 48,5 vH senken. Zwischen<br />
diesen Eckpunkten soll ein zweistufig-linear-progressiver<br />
Tarif gelten.<br />
Wir halten die jetzt geplante Absenkung des Spitzensteuersatzes<br />
– auch mit Blick auf die heute in den meisten<br />
anderen Industriestaaten geltenden Steuersätze – für<br />
nicht hinreichend. Die Senkung des Spitzensteuersatzes<br />
bleibt im übrigen weit hinter dem <strong>zur</strong>ück, was einer der<br />
Koalitionspartner (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) in seinem<br />
steuerpolitischen Programm vor der Wahl gefordert<br />
hatte. Für die Höhe des Eingangssteuersatzes hatte die<br />
Sozialdemokratische Partei Deutschlands in ihren Vorschlägen<br />
<strong>zur</strong> Steuerreform einen Satz von 15 vH und die<br />
Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN einen solchen von<br />
18,5 vH gefordert (JG 97 Tabelle 39). Wir halten eine<br />
Absenkung des Eingangssteuersatzes unter 19,9 vH<br />
schon deshalb für geboten, weil damit der Übergang<br />
vom Transferbereich (Sozialhilfe) in den Bereich der<br />
Markteinkommen steuerlich erleichtert wird.<br />
376. Bedenklich an der vorgeschlagenen Tarifreform<br />
ist auch, daß es zu einer noch weitergehenden Spreizung<br />
bei den Steuersätzen kommen soll. Moderne Einkommensteuern<br />
sind synthetische Steuern. Damit ist gemeint,<br />
daß alle Einkommen eines Wirtschaftssubjekts zusammengefaßt<br />
und einem einheitlichen Steuertarif unterworfen<br />
und damit alle Einkommen (unabhängig von der<br />
Einkunftsart) einheitlich besteuert werden. Die gleiche<br />
Behandlung der einzelnen Einkunftsarten soll nicht nur<br />
der steuerlichen Gerechtigkeit dienen, sondern sie ist<br />
auch allokationspolitisch geboten. Verstößt man gegen<br />
dieses Prinzip, werden wirtschaftliche Aktivitäten verzerrt;<br />
das ist mit Wohlstandsverlusten verbunden.<br />
Schon heute gibt es eine Tarifermäßigung zugunsten der<br />
Einkünfte aus Gewerbetätigkeit. Wir haben wiederholt<br />
auf die Probleme dieser Regelung hingewiesen (JG 92<br />
Ziffer 362). Nun mag man die heutige Spreizung mit<br />
sechs Prozentpunkten noch damit begründen, daß gewerbliche<br />
Einkünfte der Sonderbelastung durch die Gewerbesteuer<br />
unterliegen. Mit dem Wegfall der Gewerbekapitalsteuer<br />
hätte diese Spreizung jedoch abgebaut<br />
werden müssen; sie sollte jedenfalls nicht noch stärker<br />
ausgeweitet werden, wie für die erste und zweite Stufe<br />
der Steuerreform geplant, zumal damit Diskriminierung<br />
zwischen den Einkunftsarten verstärkt und Umge-