Jahresgutachten 1998/99 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...
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che Traglast der Finanzierung, es wird zugleich für<br />
jeden Bürger die Vermutung begründet, daß jegliche<br />
Reform auch ihn schlechter stellen wird. Der daraus<br />
resultierende Widerstand lähmt die politische Reformdebatte.<br />
405. In diesem Umfeld werden auch die Vorhaben der<br />
neuen Bundesregierung im Bereich der sozialen Sicherung<br />
diskutiert. Als Leitvorstellungen für die in Aussicht<br />
genommene Weiterentwicklung und Modernisierung des<br />
Systems der sozialen Sicherung werden in der Koalitionsvereinbarung<br />
Qualität, Zielgenauigkeit und Gerechtigkeit<br />
genannt. Den skizzierten Orientierungen für eine<br />
faire Gestaltung der sozialen Sicherung wird damit in<br />
zwei Punkten entsprochen, und zwar durch die Beschränkung<br />
der Absicherung auf „wichtige Lebensrisiken“<br />
sowie die Forderung nach einem „gerechten Ausgleich<br />
zwischen den Generationen“; dagegen wird der<br />
Anreizkompatibilität der verschiedenen Systeme offenkundig<br />
eine eher nachrangige Bedeutung beigemessen.<br />
In der Koalitionsvereinbarung werden vor allem die Gesetzliche<br />
Rentenversicherung, die Gesetzliche Krankenversicherung<br />
und die Sozialhilfe angesprochen. Auf diese<br />
Bereiche gehen wir im folgenden näher ein.<br />
Rentenversicherung: Für einen fairen Ausgleich<br />
zwischen den Generationen<br />
406. Die Gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland<br />
basiert auf dem Umlageverfahren; damit bestimmt<br />
– neben den gewährten Leistungen, der Erwerbsbeteiligung<br />
und der Beschäftigungssituation – vor allem die<br />
demographische Entwicklung, wie sich Renten und Beitragszahlungen<br />
in Zukunft entwickeln werden. Die absehbare<br />
Bevölkerungsentwicklung wird – so übereinstimmend<br />
alle Prognosen – bis zum Jahre 2040 zu einem<br />
steigenden Altersquotienten (als Relation von Personen<br />
ab 65 Jahren <strong>zur</strong> erwerbsfähigen Bevölkerung im Alter<br />
von 20 bis 64 Jahren) führen: Stehen heute einem Rentner<br />
etwa vier Erwerbsfähige gegenüber, so werden es<br />
dann nur noch knapp zwei sein. Das muß im bestehenden<br />
System fühlbar steigende Beiträge <strong>zur</strong> Folge haben,<br />
wenn die Rentenzahlungen nicht direkt über Leistungskürzungen<br />
oder indirekt über Erhöhung des Renteneintrittsalters<br />
gesenkt werden. Nach Vorausschätzungen des<br />
Prognos Instituts für den Verband Deutscher Rentenversicherungsträger<br />
ist unter Berücksichtigung der Änderungen<br />
infolge des Rentenreformgesetzes 1<strong>99</strong>9 mit einem<br />
Ansteigen des Beitragssatzes auf bis zu 24,5 vH im<br />
Jahre 2040 zu rechnen. Eine solche Belastung wird allgemein<br />
als nicht akzeptabel angesehen. Selbst wenn es<br />
zu einer Verbesserung am Arbeitsmarkt kommen sollte<br />
– auch die hohe Arbeitslosigkeit trägt <strong>zur</strong> Beitragsbelastung<br />
bei –, wird das langfristige Problem der Rentenversicherung<br />
dadurch nicht gelöst werden. Letztlich ist<br />
ein fairer Kompromiß zwischen den Belastungen der<br />
heutigen Rentnergeneration und den heutigen Beitragszahlern<br />
als künftigen Leistungsempfängern zu suchen.<br />
407. Will man die Veränderung des Altersquotienten<br />
nicht vollständig auf die Beitragssätze durchwirken lassen,<br />
sondern auch die Rentner an den schlechter gewordenen<br />
Finanzierungsbedingungen beteiligen, dann kann<br />
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode Drucksache 14/73<br />
das durch die Berücksichtigung demographischer Veränderungen<br />
bei der jährlichen Rentenanpassung erreicht<br />
werden. Die mit dem Rentenreformgesetz 1<strong>99</strong>9 eingeführte<br />
demographische Komponente führt – verglichen<br />
mit dem zuvor geltenden Rentenrecht – zu einer Verminderung<br />
des Rentenniveaus (gemessen an der Standardrente)<br />
auf nicht weniger als 64 vH und gemäß Prognos-Gutachten<br />
zu einer Absenkung des für das<br />
Jahr 2040 erwarteten Beitragssatzes um rund zweieinhalb<br />
bis drei Prozentpunkte. Von daher ist die Rentenreform<br />
1<strong>99</strong>9 der richtige Weg, wenngleich höchstens ein<br />
erster Schritt <strong>zur</strong> Lösung der zukünftigen Probleme der<br />
Rentenversicherung. Die neue Bundesregierung sollte<br />
dieses Gesetz – anders als nunmehr angekündigt – nicht<br />
<strong>zur</strong>ücknehmen, sondern ganz im Gegenteil den mit der<br />
Gesetzesänderung eingeschlagenen Weg konsequent<br />
fortsetzen. Das gilt ebenso für die Ansätze, das Renteneintrittsalter<br />
zu erhöhen. Wir halten dies im Interesse des<br />
fairen Ausgleichs zwischen den Generationen für richtig.<br />
Auch bei Anhebung des Renteneintrittsalters sollte jeder<br />
in Grenzen selbst entscheiden können, wann er seine<br />
Erwerbstätigkeit beenden und Rente beziehen will. Sofern<br />
er sich dann für einen früheren Rentenbeginn entscheidet,<br />
müßte er jedoch Abschläge bei der Rentenzahlung<br />
akzeptieren.<br />
Soweit die ausgezahlten Renten unter das sozialhilferechtlich<br />
definierte Existenzminimum fallen, sollte dieses<br />
Problem zielgenau angegangen werden. Niedrige<br />
Renten, die Sozialhilfebedürftigkeit auslösen, sollten<br />
durch Sozialhilfezahlungen aufgestockt werden. Die<br />
Aufstockung jeder unter dem Existenzminimum liegenden<br />
Rente unabhängig von etwaigen anderen Einkünften<br />
würde gegen die Prinzipien der Eigenverantwortung und<br />
der Subsidiarität verstoßen. Eine Rücknahme der demographischen<br />
Komponente in der Rentenformel würde<br />
alle Rentenbezieher im Vergleich zu den jeweiligen Beitragszahlern<br />
besser stellen, unabhängig von der individuellen<br />
Rentenhöhe.<br />
408. Wenn langfristig orientierte Reformen unterbleiben,<br />
dann muß entweder den Beitragszahlern eine immer<br />
stärkere Beitragsbelastung auferlegt werden oder aber<br />
das System der Rentenversicherung gerät in Finanzierungsschwierigkeiten.<br />
Will man das System nicht noch<br />
weiter von der Steuerfinanzierung abhängig machen,<br />
dann wird man sich auf eine beitragsfinanzierte Grundsicherung<br />
beschränken müssen. Hinzukommen muß dann<br />
eine zusätzliche Vorsorge durch individuelle Kapitalbildung.<br />
Dem Weg in ein solches Mischsystem muß die<br />
Politik eine klare Orientierung geben, indem sie die<br />
künftige Rolle der Gesetzlichen Rentenversicherung<br />
verläßlich definiert. Nur so kann der Anreiz zu größerer<br />
Eigenvorsorge gestärkt werden. Zudem müßte die Belastung<br />
durch Steuern und Abgaben gesenkt werden, um<br />
damit den Bürgern die notwendigen Spielräume für eigene<br />
Kapitalbildung zu eröffnen. Auf eine obligatorische<br />
umlagefinanzierte Alterssicherung wird man nicht verzichten<br />
können, weil sonst diejenigen, die nicht aus eigener<br />
Initiative vorsorgen, später durch Sozialhilfe unterstützt<br />
werden müßten. Da wir dem Prinzip der Beitragsäquivalenz<br />
in der Sozialversicherung einen hohen<br />
Rang beimessen, sollte dies auch für eine auf Grundsi-<br />
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