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Jahresgutachten 1998/99 - Sachverständigenrat zur Begutachtung ...

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Drucksache 14/73 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode<br />

kräfte durch wettbewerbsfähige Unternehmen zu absorbieren.<br />

46. In Lateinamerika kam es im Jahre <strong>1<strong>99</strong>8</strong> zu einer<br />

Verlangsamung des gesamtwirtschaftlichen Produktionsanstiegs<br />

und zu einer leichten Verschlechterung<br />

der Leistungsbilanzsalden in einzelnen Ländern gegenüber<br />

dem Vorjahr (Tabelle 6). Für die, an der Wirtschaftskraft<br />

gemessen, sieben größten Volkswirtschaften<br />

dieser Region – Argentinien, Brasilien, Chile, Kolumbien,<br />

Mexiko, Peru, Venezuela – lag das zusammengefaßte<br />

Bruttoinlandsprodukt um 2 vH über dem Niveau des<br />

Vorjahres, nachdem die Zuwachsrate im Jahre 1<strong>99</strong>7<br />

noch 5,2 vH betragen hatte. Von der Asien-Krise angesteckt<br />

kam es im Herbst letzten Jahres zu kurzfristigen<br />

Turbulenzen an den Aktienmärkten und Devisenmärkten<br />

sowie zu höheren Risikoprämien für ausländisches Kapital.<br />

Nachdem sich die Situation im Laufe des ersten<br />

Halbjahres <strong>1<strong>99</strong>8</strong> beruhigt hatte, löste die Finanzkrise in<br />

Rußland <strong>zur</strong> Jahresmitte eine zweite Welle von Kapitalabflüssen<br />

aus Lateinamerika aus. Obgleich konkrete<br />

Anhaltspunkte fehlten, sahen die Akteure auf den Finanzmärkten<br />

Veranlassung, andere – tatsächlich oder<br />

vermeintlich labile – Volkswirtschaften auf ihre Robustheit<br />

zu testen. Trotz zum Teil drastischer Zinserhöhungen,<br />

die die konjunkturellen Perspektiven eintrübten,<br />

kam es zu Währungsabwertungen; parallel stellten sich<br />

Verluste an den Aktienmärkten ein. Da viele lateinamerikanische<br />

Staaten in ihrem Reformprozeß in den neunziger<br />

Jahren schon weit vorangeschritten sind und nach<br />

der Peso-Krise in Mexiko bemerkenswerte Erfolge bei<br />

der Stabilisierung der jeweiligen Bankensektoren erzielt<br />

worden sind, war von den Fundamentalfaktoren her<br />

gesehen eine generell negative Neueinschätzung dieser<br />

Region nicht angelegt. Dennoch wandte sich das Kapital,<br />

auf der Suche nach sichereren Anlagemöglichkeiten, von<br />

den lateinamerikanischen Märkten in spürbarem Umfang<br />

ab, obwohl in dieser Region nicht ähnliche Verwerfungen<br />

zu beobachten waren wie in Ostasien. Für die Realwirtschaft<br />

spielten darüber hinaus unterschiedliche Faktoren<br />

eine Rolle: In Venezuela war es der Ölpreisverfall,<br />

in Chile der Einbruch des Kupferpreises und in Kolumbien<br />

sowie in Peru das Klimaphänomen El Niño.<br />

47. Die wirtschaftliche Expansion in Mexiko wurde im<br />

Jahre <strong>1<strong>99</strong>8</strong> erneut von der privaten Inlandsnachfrage getragen.<br />

Dämpfend hingegen wirkten im wesentlichen die<br />

Kürzungen öffentlicher Ausgaben, die vorgenommen<br />

wurden, um die durch den Ölpreisrückgang verursachten<br />

Einnahmenausfälle zu kompensieren. Die Geldpolitik war<br />

auf eine weitere Senkung der Inflationsrate bedacht, da<br />

der Stabilisierungsprozeß nach der Peso-Krise Ende des<br />

Jahres 1<strong>99</strong>4 noch nicht beendet ist. Das Vertrauen internationaler<br />

Investoren ist um so wichtiger, als die im Aufholprozeß<br />

befindlichen lateinamerikanischen Volkswirtschaften<br />

auf ausländisches Kapital <strong>zur</strong> Finanzierung ihrer<br />

Leistungsbilanzdefizite angewiesen sind. Ein Leistungsbilanzdefizit<br />

ist nicht beunruhigend, wenn – wie in Argentinien<br />

– in hohem Maße Investitionsgüter importiert<br />

werden. Die Abkühlung im Jahresverlauf <strong>1<strong>99</strong>8</strong> war dort<br />

im wesentlichen auf höhere Zinsen <strong>zur</strong> Verteidigung des<br />

Wechselkurssystems mit dem US-Dollar als Anker (Cur-<br />

22<br />

rency Board) <strong>zur</strong>ückzuführen, nach Spekulationen gegen<br />

den argentinischen Peso; hinzu kam die wirtschaftliche<br />

Schwäche Brasiliens, des wichtigsten Handelspartners.<br />

48. Brasilien verzeichnete im Jahre <strong>1<strong>99</strong>8</strong> infolge einer<br />

sehr restriktiven Wirtschaftspolitik nur einen geringen<br />

Anstieg des Bruttoinlandsprodukts. Da die wirtschaftliche<br />

Entwicklung vor allem aufgrund der Defizite im<br />

Staatshaushalt und in der Leistungsbilanz an den internationalen<br />

Finanzmärkten als nicht tragfähig erachtet<br />

wurde, geriet der brasilianische Real im Herbst letzten<br />

Jahres im Sog der Asien-Krise unter erheblichen Abwertungsdruck.<br />

Die Notenbank reagierte mit Devisenmarktinterventionen<br />

und einer Verdopplung der Leitzinsen.<br />

Zusätzlich verkündete die Regierung im November<br />

letzten Jahres ein Maßnahmenpaket <strong>zur</strong> Reduzierung des<br />

öffentlichen Defizits. Damit bestätigte sie ihren festen<br />

Willen, an dem im Jahre 1<strong>99</strong>4 eingeleiteten Stabilisierungskurs<br />

(Plano Real) festzuhalten, auch wenn dies mit<br />

Einbußen bei der wirtschaftlichen Aktivität verbunden<br />

sein sollte. Im Jahresverlauf konnten die Zinsen immerhin<br />

fast wieder auf das Niveau von vor den Währungsattacken<br />

sinken, ehe im September dieses Jahres<br />

Ansteckungseffekte der Finanzkrise in Rußland erneut<br />

eine drastische Erhöhung des Interventionssatzes der<br />

Notenbank auf 49,75 % und finanzpolitische Maßnahmen<br />

erforderlich machten. Ungeachtet dessen wurden<br />

Privatisierungen – begleitet von einem Zustrom an Direktinvestitionen<br />

– vorangetrieben und die wichtigen<br />

Reformen des öffentlichen Verwaltungswesens sowie<br />

der öffentlichen Altersversorgung verabschiedet. Damit<br />

wurde das Vertrauen der Investoren teilweise <strong>zur</strong>ückgewonnen,<br />

aber die makroökonomische Spannung zwischen<br />

den hohen Haushaltsdefiziten und der überbewerteten<br />

Währung konnte nicht entscheidend abgebaut werden.<br />

Zwar gingen die nominalen Abwertungen des Real<br />

im System einer gleitenden Paritätsanpassung an den<br />

US-Dollar (Crawling Peg) in diesem Jahr über das Inflationsdifferential<br />

mit den Vereinigten Staaten hinaus<br />

(leichte reale Abwertung), jedoch vermochte es die Regierung<br />

im Wahljahr trotz hoher Privatisierungserlöse<br />

nicht, das Defizit im Staatshaushalt signifikant zu reduzieren.<br />

Die Anfälligkeit gegen Währungsspekulationen<br />

konnte nicht überwunden werden. Die Bremsspuren des<br />

zeitweise sehr hohen Zinsniveaus waren unverkennbar.<br />

So kam es Mitte November dieses Jahres zu einem Abkommen<br />

mit dem Internationalen Währungsfonds; es<br />

wurden Beistandskredite im Umfang von 41,5 Mrd<br />

US-Dollar vereinbart (Tabelle 3, Seite 18). Als Voraussetzung<br />

dafür legte die Regierung ein Anpassungsprogramm<br />

<strong>zur</strong> Sanierung der öffentlichen Haushalte mit<br />

spürbaren Einnahmensteigerungen sowie einigen Ausgabenkürzungen<br />

vor. Damit soll einer größeren gesamtwirtschaftlichen<br />

Krise in Brasilien vorgebeugt werden,<br />

da von einer dann zu erwartenden starken Abwertung<br />

des brasilianischen Real direkt negative Effekte auf die<br />

durch die Wirtschaftsgemeinschaft MERCOSUR eng<br />

verbundene Volkswirtschaft Argentiniens und auf den<br />

gesamten Kontinent zu befürchten sind.

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