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aia 1 pdf - Slavko Kacunko

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artintact 1<br />

Rousseau ins Exil getrieben. Zunächst fand er Zuflucht in Môtiers, in den<br />

Bergen des Fürstentums Neuchâtel, von wo er 1765 erneut fliehen mußte,<br />

diesmal auf die Insel Saint-Pierre im Bieler See. Verfolgt und an Verfolgungswahn<br />

leidend, sucht er im Schreiben die Ursache für sein Unglück.<br />

Auf der Insel angekommen findet er Gefallen an dem Gedanken, nicht<br />

mehr zu schreiben : ›Eine meiner größten Freuden war es, meine Bücher<br />

immer noch wohl eingepackt zu lassen und kein Schreibzeug zu haben.<br />

[...] Anstatt mit traurigem Papierkram und all diesen Scharteken füllte ich<br />

mein Zimmer mit Blumen...‹. Um die Tage auszufüllen, nahm er sich vor,<br />

›eine Flora petrinsularis anzufertigen und alle Pflanzen der Insel zu beschreiben,<br />

ohne eine einzige auszulassen, und das mit einer Genauigkeit,<br />

die hinreichend wäre, mich den Rest meines Lebens zu beschäftigen.‹ 2<br />

›Beschreiben‹ bedeutet hier pflücken, erkennen, sammeln: eine andere<br />

Art Buch anzulegen. So entstand das mich inspirierende Herbarium:<br />

Alle meine botanischen Spaziergänge, die verschiedenen Eindrücke der Orte, an welchen mir<br />

Pflanzen auffielen, die Gedanken, auf die mich diese Umgebung brachte, die Begebenheiten,<br />

welche dabei vorfielen, – all dies hat Eindrücke in mir hinterlassen, die sich beim Anblick der<br />

Pflanzen erneuern, welche ich an selbigen Orten gesammelt habe. Ich werde diese schönen<br />

Landschaften, diese Wälder, diese Seen, diese Gebüsche, diese Felsen, diese Berge niemals<br />

wiedersehen, deren Anblick allzeit mein Herz gerührt hat. Aber nun, da ich nicht mehr jene<br />

glücklichen Gefilde durchwandern kann, brauche ich nur meine Pflanzensammlung zu<br />

öffnen und sogleich bin ich dorthin versetzt. Die Bruchstücke der Pflanzen, welche ich dort<br />

gesammelt habe, genügen, um mir diesen ganzen herrlichen Anblick in Erinnerung zu bringen.<br />

Diese Pflanzensammlung ist für mich ein Tagebuch der botanischen Spaziergänge, mit<br />

seiner Hilfe kann ich sie von neuem beginnen und sie gewinnen wieder einen frischen Reiz,<br />

es ist, als ob ein Guckkasten sie erneut vor meinem Auge ausbreitet. 3<br />

2. Jean-Jacques Rousseau, Les rêveries du promeneur solitaire, ›Cinquième promenade‹,<br />

Œuvres complètes, Bd. 1, Paris, 1976, S. 1042, 1043.<br />

3. Les rêveries, ›Septième promenade‹, a.a.O., S. 1073.

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