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aia 1 pdf - Slavko Kacunko

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XVIII<br />

Der Papierkorb, der diesen Anekdotenreigen eröffnet hat, kann als<br />

eine solche Metapher benutzt werden, als Behälter für die Dinge, die wir<br />

vergessen möchten, bevor wie sie wegwerfen. Denn um wissen zu<br />

können, müssen wir Dinge wegwerfen, eine Auswahl treffen, für uns<br />

selbst entscheiden, was eine Bedeutung hat und was nicht. 28 Alles aufzubewahren<br />

ist unmöglich. Bewahren wir zuviel auf, werden wir zu<br />

Sklaven unserer eigenen Sammlung. Bewahren wir nichts auf, werden wir<br />

zu einem Niemand. Das schlimmste, was passieren kann, ist, daß eine<br />

Katastrophe oder ein Gewaltakt uns all unserer materiellen Erinnerungen<br />

beraubt; nicht nur die Vergangenheit wird dadurch unsichtbar, auch die<br />

Sicht auf die Zukunft wird versperrt. Wir können der Zukunft nur durch<br />

den Blick zurück in die Vergangenheit entgegensehen. Das heißt, daß wir<br />

uns entschließen müssen, die Vergangenheit hin und wieder zu mustern<br />

und auszuwählen, was für den Müllmann bestimmt ist, für den kollektiven<br />

Misthaufen, was verbrannt werden soll – unsere Zeitgenossen für<br />

eine Weile mit Abgasen belästigend, während es zu Elektrizität wiederverwertet<br />

wird (denn nichts geht verloren, alles wird zu etwas anderem).<br />

Und wenn der Abfall draußen an der Straße steht, fein säuberlich in<br />

grauen Plastiksäcken verpackt (denn selbst in diesem letzten Stadium versucht<br />

man, sich nicht zu entblößen), ist der Moment für diejenigen gekommen,<br />

die die Niederländer ›Morgensterne‹ nennen; die durch die<br />

Straßen ziehen auf der Suche nach noch verwertbarem Abfall, bevor er<br />

offiziell als Müll eingesammelt wird. Manche stecken ihre Beute ein, ohne<br />

Spuren zu hinterlassen, andere reißen grob die Säcke auf und verstreuen<br />

den Inhalt beim gründlichen Durchsuchen nach etwas, das sie mit nach<br />

Hause nehmen können, wo es ein neues Leben in einem anderen Kontext<br />

28. Ich schreibe ausführlicher über die Organisation des Vergessens und Erinnerns in dem<br />

Artikel: ›Ars Oblivivendi.‹ – Ars Electronica Festival 96: Memesis. The Future of Evolution.<br />

Hg. Gerfried Stocker und Christine Schöpf, Wien/New York: Springer, 1996, S.<br />

254–261. Siehe auch: .<br />

351<br />

artintact 5

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