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aia 1 pdf - Slavko Kacunko

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mitte am Fluß gelegen. Mit einem Freund teilte ich eine Art Dachboden,<br />

und es war offensichtlich, daß hier schon eine Menge anderer Leute vorbeigekommen<br />

waren. Zwischen dem Schutt, der herumlag, fand ich ein<br />

Notizbuch mit einer Reihe von Briefen, die von der abenteuerlichen<br />

Reise eines Paares durch Nordafrika erzählten. Die Briefe waren offenbar<br />

nie abgeschickt worden. Die Einzelheiten habe ich vergessen, nicht aber<br />

die Erregung, die ich verspürte, als ich etwas las, das nicht für mich<br />

bestimmt war. Solche Begebenheiten müssen es gewesen sein, die mir den<br />

Weg gezeigt haben zu einem anderen Beruf: Nicht Bildhauer, sondern<br />

Archivar moderner sozialer Bewegungen bin ich geworden, und mein<br />

besonderes Interesse lag immer darin, persönliche Archive zu erwerben,<br />

sei es noch zu Lebzeiten der Person oder, wie es oft geschieht, posthum.<br />

Oftmals ist die Zeremonie, die den Transfer vom Privaten ins Öffentliche<br />

vollzieht, überaus schizophren. Auf der einen Seite der Stifter oder Erbe,<br />

überzeugt von der Bedeutung für die Nachwelt und der Notwendigkeit,<br />

den Forschern und der allgemeinen Öffentlichkeit alles zugänglich zu<br />

machen; auf der anderen Seite lange Listen mit Einschränkungen für die<br />

archivierende Institution, um mögliche Darstellungen, die sich aus dem<br />

Material ergeben können, zu kontrollieren.<br />

XIV<br />

Es ist die persönliche Korrespondenz, die das Schreibpapier durchscheinend<br />

werden läßt. Während des Schreibens machen wir uns ein Bild<br />

des anderen, und wir können uns selbst bei der Lektüre des gerade<br />

Geschriebenen sehen. So wird ein Brief gleichzeitig zu Vergrößerungsglas,<br />

Spiegel und Fernrohr. Ich glaube, daß der persönliche Brief, die<br />

Korrespondenz zwischen zwei Menschen, eine der konstantesten Ausdrucksformen<br />

in der Geschichte ist.<br />

Auf diese Weise bedeutet Schreiben, ›sich selbst zu zeigen‹, sich selbst sichtbar werden zu<br />

lassen, sein eigenes Gesicht in der Gegenwart des anderen aufscheinen zu lassen. Und man<br />

sollte deshalb verstehen, daß ein Brief sowohl der Blick ist, den man auf den Adressaten<br />

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artintact 5

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