Fremde Bilder - Stiftung Bildung und Entwicklung
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Sklaverei: Unterrichtsmaterial<br />
Bezüge zur Gegenwart - Schweiz<br />
Q31 Stellung des B<strong>und</strong>esrats<br />
Der B<strong>und</strong>esrat bedauert zutiefst schweizerische<br />
Beteiligungen am Sklavenhandel. Er will<br />
eine kritische Aufarbeitung fördern:<br />
«Der B<strong>und</strong>esrat bedauert zutiefst die Beteiligung<br />
schweizerischer Bürger, Unternehmen<br />
<strong>und</strong> Organisationen am Sklavenhandel.» Das<br />
schreibt der B<strong>und</strong>esrat in einer Antwort auf<br />
eine Interpellation von Josef Lang (Grüne, ZG).<br />
Dieses uneingeschränkte Bedauern ist umso<br />
bemerkenswerter, als sich der B<strong>und</strong>esrat in<br />
der aktuellen Zusammensetzung zu anderem<br />
historischem Fehlverhalten (Apartheid, Nazi-<br />
Zeit) deutlich verkrampfter geäussert hat.<br />
Halbe Million Jahre Zwangsarbeit<br />
Seit seiner ersten Stellungnahme hat freilich<br />
auch die Forschung einen besseren Überblick<br />
über das unbekannte dunkle Kapitel der<br />
Schweizer Geschichte vermittelt: Laut einer<br />
Lausanner Studie waren Schweizer Investoren<br />
an der Deportation von 172 000 Sklaven von<br />
Amerika nach Übersee beteiligt – also an 1,5<br />
Prozent des transatlantischen Sklavenhandels.<br />
In einem faktenreichen <strong>und</strong> zugleich anschaulich<br />
<strong>und</strong> angriffig geschriebenen Buch rechnet<br />
der Historiker Hans Fässler vor, dass Sklaven<br />
auf 50 Schweizer Plantagen in Übersee eine<br />
halbe Million Jahre Zwangsarbeit verrichten<br />
mussten. Schweizer Söldner halfen, Aufstände<br />
niederzuschlagen. Fässler ist auch überzeugt,<br />
dass der Beitrag von Schweizer Intellektuellen<br />
«an die ideologische Untermauerung der Sklaverei<br />
<strong>und</strong> des mit ihr verb<strong>und</strong>enen Rassismus»<br />
die auch vorhandenen «Schweizer Beiträge<br />
zur Abschaffung der Sklaverei weit übersteigt».<br />
Im Nachgang zu solchen Erkenntnissen ist der<br />
B<strong>und</strong>esrat überzeugt, dass die Aufarbeitung<br />
der Ära der Sklaverei weitergehen muss: Sie<br />
müsse «im internationalen Rahmen sowohl<br />
politisch als auch wissenschaftlich beleuchtet<br />
werden», schreibt er in seiner Antwort auf<br />
Langs Interpellation. Und er verspricht, dass er<br />
«für die wissenschaftliche Aufarbeitung die<br />
nötigen Instrumente der Wissenschafts- <strong>und</strong><br />
Forschungsförderung zur Verfügung» stelle.<br />
Was dieses Versprechen genau bedeutet, wird<br />
sich erst noch weisen müssen. Immerhin kontrastiert<br />
es wohltuend mit Weigerungen kantonaler,<br />
kommunaler <strong>und</strong> privater Instanzen,<br />
die historische Aufarbeitung mit Akteneinsicht<br />
<strong>und</strong> finanzieller Hilfe zu unterstützen. Den<br />
neuen Forschungsergebnissen, dass auch<br />
staatliche oder halbstaatliche Körperschaften<br />
am Sklavenhandel beteiligt waren, weicht<br />
allerdings auch der B<strong>und</strong>esrat aus.<br />
B<strong>und</strong> <strong>und</strong> Kantone verwickelt<br />
So war Bern, der mächtigste Stand der alten<br />
Eidgenossenschaft, im frühen 18. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
laut Fässler mit Abstand der grösste Aktionär<br />
der Sklaven haltenden englischen Südsee-<br />
Gesellschaft. Der Kanton Solothurn investierte<br />
damals in eine Firma, die grosse Gewinne aus<br />
der Ansiedlung von Sklaven am Mississippi<br />
versprach. Die halbstaatliche Zürcher Bank Leu<br />
& Co. half Dänemark 1760 den Erwerb von<br />
Inseln finanzieren, die als Umschlagplatz für<br />
Sklaven dienten. Und der B<strong>und</strong>esrat rechtfertigte<br />
noch 1864, dass Auslandschweizer (<strong>und</strong><br />
sein Generalkonsul) in Brasilien weiterhin<br />
Sklaven hielten.<br />
Heute hält der B<strong>und</strong>esrat fest, dass das damals<br />
«begangene Unrecht kritisch aufgearbeitet<br />
werden muss». Wie an der Weltkonferenz<br />
gegen Rassismus versprochen, sei die Schweiz<br />
«nach wie vor bereit», eine vermittelnde Rolle<br />
zwischen afrikanischen Staaten <strong>und</strong> ehemaligen<br />
Kolonialmächten einzunehmen.<br />
Tagesanzeiger 12. Juni 2006, geschrieben von Bruno<br />
Vanoni<br />
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