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Fremde Bilder - Stiftung Bildung und Entwicklung

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Völkerschauen: Unterrichtsmaterial<br />

der Erwachsenen. Sieben Tage lang schwebten<br />

sie zwischen Leben <strong>und</strong> Tod. Liese starb am<br />

11. März, am nächsten Tag starb Frau Capitano,<br />

eine halbe St<strong>und</strong>e später ihr Mann. Antonio<br />

<strong>und</strong> Trine hatten die Krankheit überstanden,<br />

ganz ges<strong>und</strong> aber würden sie nie mehr<br />

werden, prognostizierte Doktor Seitz.<br />

Die drei Leichen wurden in der Zürcher Anatomie<br />

von verschiedenen Professoren seziert.<br />

[…] Die Schädel der Eheleute Capitano wurde<br />

aufgebohrt, seziert <strong>und</strong> später im Aufsatz<br />

D5 Kontext Unterhaltung - Juni 1893, Angebot<br />

an Unterhaltungsmöglichkeiten<br />

„[…] Die Völkerschauen im Plattengarten hatten<br />

den Reiz des Neuen verloren <strong>und</strong> konnten<br />

sich im städtischen Vergnügungsangebot nicht<br />

mehr behaupten. Für Vaudevillebetriebe war<br />

der Existenzkampf ohnehin härter geworden,<br />

seit sich die Stadt, im Mai 1893, elf Vorortgemeinden<br />

einverleibt hatte <strong>und</strong> von den Lokalblättern<br />

nun gerne Gross-Zürich genannt wurde.<br />

Wie die Expansion sich in der Unterhaltungsbranche<br />

auswirkte, veranschaulichen die Inserateseiten<br />

im »Tagblatt«. Grösser <strong>und</strong> zahlreicher<br />

wurden die Annoncen, die wie eh neben<br />

den Todesanzeigen abgedruckt waren. Im Juni<br />

1893, während des zweiwöchigen Gastspiels<br />

der Singhalesen, war in Aussersihl der Zauberer<br />

Agoston unterwegs, im Niederdorf der<br />

Komiker Bertim, in den Bierhallen ein Wiener<br />

Jux-Trio; im Pfauentheater forderte der Ringkämpfer<br />

Athos jeden Abend das Publikum zum<br />

Kampf heraus <strong>und</strong> bot zweih<strong>und</strong>ert Franken<br />

demjenigen, der ihn besiegen würde. Am vierten<br />

Junisonntag spielten in Zürich dreissig<br />

Tanzkapellen, der Zirkus Baese hatte sich mit<br />

seinem Variete- <strong>und</strong> Affentheater angekündigt,<br />

<strong>und</strong> noch grösser war die Konkurrenz, als<br />

fünfzehn Monate später die Matabele-<br />

‚Zwei Feuerländer-Gehirne’ detailliert beschrieben.<br />

Jahrelang noch fachsimpelten die<br />

Mediziner in Zeitschriftenbeiträgen über die<br />

Todesursachen der Feuerländertruppe. […]<br />

<strong>und</strong> zunehmend verwickelten sie [die Gelehrten]<br />

sich in Spekulationen darüber, ob Naturvölker<br />

für Krankheiten am Ende nicht doch<br />

anfälliger seien als die europäischen Culturmenschen.<br />

[…]“<br />

Rea Brändle, Wildfremd, hautnah. Völkerschauen <strong>und</strong><br />

Schauplätze Zürich 1880-1960, Zürich 1995, S. 12<br />

Karawane im Plattengarten logierte. Am Pfauen<br />

gastierten nun die Akrobatenbrüder Fernanden<br />

<strong>und</strong> das Damentrio Hongrois Paprika,<br />

in den Quartierbeizen der Zauberer Mano <strong>und</strong><br />

der Clown Romeo; ein Raritätenkabinett lockte<br />

mit Mumien <strong>und</strong> Folterwerkzeugen, das<br />

anatomische Museum im Seefeld mit Details<br />

über den Präsidentenmörder Sante Caesario.<br />

Die Uetlibergbahn bot verbilligte Sonntagsbillette<br />

an, das Panorama am Utoquai für dreissig<br />

Rappen »Die Schlacht von Murten« <strong>und</strong>, in<br />

den Gucklöchern, acht neue Sehenswürdigkeiten,<br />

eine Reise um die halbe Welt: der Fels<br />

von Gibraltar, die Niagarafälle, eine Urwaldlandschaft,<br />

der Tower von London, eine Gletschergrotte,<br />

das Meer bei Flut, die Weltausstellung<br />

von Chicago <strong>und</strong> das Zürcher Sechseläuten.<br />

Und erst ein paar Wochen war es her,<br />

seit in Leilichs Illusionsapparat »eine christliche<br />

Märthyrerin mit ihrem Kind den Löwen<br />

vorgeworfen« wurde; in der kantonalen Gewerbeausstellung<br />

gastierte der »Negertrompeter<br />

Vallerio Brown aus Texas«, im Zirkus<br />

Theater Wallenda die »Zuluprinzessin Panissa<br />

auf rollender Kugel mit dressierten Tauben«<br />

[…]“.<br />

Rea Brändle, Wildfremd, hautnah. Völkerschauen <strong>und</strong><br />

Schauplätze Zürich 1880-1960, Zürich 1995, S. 93<br />

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