Katalog 2003 (PDF) - DOK.fest München
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Werkstatt<br />
Vaterland<br />
Thomas Heise (Regie) und Peter Badel (Kamera)<br />
»Man muss generell darauf hinarbeiten, dass man sich im Grunde<br />
nicht für die Gegenwart interessiert, sondern für die Betrachtung<br />
der Vergangenheit aus der Zukunft heraus.«Thomas Heise<br />
Beim von der Abteilung für Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik<br />
der HFF <strong>München</strong> organisierten Werkstattgespräch läuft Thomas<br />
Heises jüngster Film Vaterland. Er widmet sich einem Ort in Sachsen-Anhalt,<br />
wo die Zeit stillzustehen scheint. Die Montage des<br />
Films macht Biographien des Ortes in drei unterschiedlichen Zeitebenen<br />
sichtbar: Briefe aus einem Arbeitslager im 2. Weltkrieg,<br />
VHS-Material aus DDR-Zeit, als dort ein sowjetischer Flughafen<br />
war und »gegenwärtige« Aufnahmen, die hauptsächlich Männer –<br />
Väter – zeigen. Exemplarisch ist der Kneipier, als Vater des Dorfes,<br />
der immer wieder vom Krieg redet, als er noch ein Junge war.<br />
Andere Väter sind gescheitert – entweder als Ehemänner oder im<br />
Leben. Am Endes des Films steht erschütternd das Resümee einer<br />
der wenigen Frauen: »Ich bin froh, dass ich hier bin. Ich muss ja<br />
nicht glücklich sein.«<br />
An diesem Film wird die Arbeitsweise von Thomas Heise deutlich:<br />
Er ist offen für die Menschen vor der Kamera, hört ihnen geduldig<br />
zu und nimmt sich Zeit. Tagesaktualität interessiert ihn nicht, sondern<br />
gesellschaftliche Strukturen und eine historische Distanz. Er<br />
wird zum Chronisten der Brüche an diesem Ort: drei Zeiten, drei<br />
traumatisierende Zustände – auch die der Vaterschaft. Mit Vaterland<br />
gelingt es Thomas Heise, ein Bild über das Privatleben in Ostdeutschland<br />
im neuen Jahrtausend zu zeichnen.<br />
Im Rahmen des Werkstattgesprächs werden zwei weitere Filme<br />
von Thomas Heise und seinem Kameramann Peter Badel gezeigt:<br />
Das Haus (1984) und Volkspolizei (1985). Beide Filme entstanden<br />
für die Staatliche Filmdokumentation der DDR.<br />
Den »historischen Blick« Heises spürt man in beiden Filmen: Im<br />
»Orwell-Jahr 1984« wollte er sich die Verwaltung anschauen, wie<br />
»der Staat mit seinen Bürgern redet« und dokumentierte im Bezirksamt<br />
Berlin-Mitte Wohnungssuchende, eine Mutter, deren<br />
Sohn gestohlen hatte und nun ermahnt wird, das Gesuch einer<br />
Rentnerin um Kohlengeld und eine ärmliche Hochzeit. Keine dieser<br />
Situationen wurde vorbereitet und niemand hat sich gegen die<br />
Dreharbeiten gewehrt, die die schikanösen Abläufe im DDR Verwaltungsapparat<br />
bezeugen. Anders verlief es im Jahr darauf bei<br />
Volkspolizei im Berliner Polizeirevier 14, in dem der Dienstablauf<br />
zehn Tage lang dokumentiert wurde: Erstattung von Anzeigen,<br />
Zuführung von Bürgern und Streifendienst. Zunächst hatte das<br />
Team fast überall freien Zugang, selbst zu Tabu-Zonen wie Waffenkammer<br />
und Gefängniszellen. Es entstanden Interviews mit<br />
verhafteten Bürgern und mit dem Revierleiter. Dann wurden die<br />
Personalien von Heise und Badel überprüft und das Verhalten der<br />
Polizisten änderte sich, es gab nur noch Streifenfahrten und keinen<br />
Einblick mehr in den tatsächlichen Tagesablauf.<br />
Beide Filme verschwanden nach Fertigstellung mit Sperrvermerk<br />
im Staatlichen Filmarchiv, wurden allerdings nicht vernichtet.<br />
Filmbeschreibung Vaterland siehe Seite 50.<br />
Werkstattgespräch<br />
Mi, 07.05., ab 10.00 Uhr, HFF<br />
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