Europas Aufstieg und Verrat

I. Voraussetzung der Freiheit | Das christliche Menschenbild
etwa die Jahrhunderte der Völkerwanderung, wo viel Angefangenes zerschlagen
wurde. Auch wurde nicht selten massiv gegen das christliche Menschenbild
verstoßen Tyranneien entstanden, Freiheiten wurden unterdrückt und
mussten neu erkämpft werden.
Dennoch: Wenn wir wissen wollen, warum der ziemlich rückständige
und verhältnismäßig kleine Teil des eurasischen Kontinents zum
freien und reichen Europa und zum weltweit führenden Kulturkreis aufstieg,
dann lautet die Antwort: Das Christentum befähigte die europäischen
Völker zu herausragenden Leistungen. Christen wissen sich aus
der Menge der anderen Menschen gerufen und sind erfüllt von einem
besonderen Auftrag. Sie sind die „ekklesia“. Das ist griechisch und heißt
„Gemeinschaft der Herausgerufenen“. Aus ekklesia wurden das französische
„église“ und das spanische „iglesia“ für Kirche; und die Christen
gehören zum Herrn aller Herren, zum Kyrios; darum sind sie „die dem
Herrn gehörende Gemeinschaft“, griechisch die „kyriake“. Daraus wurde
die deutsche „Kirche“ und die englische „church“. Sie gehören zum König
aller Könige, griechisch zum „basileus“. Daraus wurde die „Basilika“, und
das italienische „baselgia“ für Kirche. Christen sind sich in allen Jahrhunderten
ihrer besonderen Beziehung zum lebendigen Gott bewusst gewesen.
Ihr Selbstbewusstsein unterscheidet sich vom Selbstverständnis von
Angehörigen nicht-christlicher Kulturkreise. Im ersten Brief des Petrus
wird das Selbstbewusstsein der Christen gültig zusammengefasst: „Ihr aber
seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige
Volk, das Volk des Eigentums, damit ihr die großen Taten dessen verkündigt,
der euch aus der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht berufen
hat, euch, die ihr ehemals kein Volk wart, jetzt aber Gottes Volk seid, die
ihr nicht begnadigt wart, jetzt aber begnadigt seid.“ (1. Petr. 2,9f)
Im Folgenden werden wir sehen, wie dieses Bewusstsein Kräfte freigesetzt
und dynamische Entwicklungen in Gang gesetzt hat, die in anderen Völkern
durch deren Religionen verhindert wurden. Diese Weltsicht hat Karl
den Großen zu seiner Vision eines christlichen Europa inspiriert und hat
Columbus den Mut gegeben, Indien auf dem Weg nach Westen zu suchen.
Dieses Selbstbewusstsein enthält im Kern jene Freiheit des Individuums, die
wir heute in der pluralistischen und rechtsstaatlichen Demokratie so hoch
schätzen. Es hat eine besondere Art von Menschen herausgebildet, welche
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