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Psychotherapeutenjournal 3/2013 (.pdf)

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Philosophische Behandlung von Psychotherapie – Indikationen, Risiken und NebenwirkungenAngriffslinien und -taktiken ändern sich.Die Schusslinien, in denen Psychotherapierichtungen– die psychoanalytischeebenso wie die verhaltenstherapeutischeund andere – sich befinden, wechseln,aber es bleiben Schusslinien.Schweifen wir kurz ab. Politologen wartenmit der überraschenden und beruhigendenBeobachtung auf, dass seit dem ZweitenWeltkrieg reife Demokratien kaum jenoch mit anderen reifen DemokratienKrieg geführt haben. Psychologen aber habenfür denselben Zeitraum den uns allenbekannten, sehr beunruhigenden Befundzu berichten, dass reife ebenso wie unreifePsychotherapierichtungen – und sogar innerhalbder Hauptrichtungen die vielen,durch Variation, Mutation, Sezession undRetention sich bildenden psychotherapeutischen„Schulen“ und „Lager“ – in der Regelmiteinander im Krieg, mindestens aberim Clinch liegen. Um die Lage metaphorischzu erhellen, könnte man auch auf dasantike Griechenland anspielen und vonPolis und Kolonie, von Völkern und Königreichensprechen. Es sei jedem selbstüberlassen, welche der beiden Hauptrichtungender in Deutschland kassenärztlichbezahlten Psychotherapie wir dem Königreichder Spartaner und welches wir derAthenischen Allianz zuordnen wollen, zweiKontrahenten, die sich in langwierigenKriegen bekanntlich gegenseitig ruinierten.Zurück zu Ludwig Wittgenstein. Zwar hatWittgenstein in seinem Spätwerk die intersubjektiveWelt der kulturellen Praktikenentdeckt. Aber auch in seinem Spätwerkbleibt Wittgensteins Denkens das mit dersubjektlosen Objektivität der logischenStrukturen anfing, vor der Welt der Subjektivitätstehen. Wittgensteins Einwände gegenwissenschaftliche Psychologie undspeziell gegen die Versuche der Verbegrifflichungdes Unbewussten, so erscheint esuns heute, sind letztlich eher auf einemerkwürdige Art religiös geprägt als hartwissenschaftlich (Wittgenstein, 2000).Bei William James stellen wir im Rückblickfest, dass James in seiner philosophischenPsychologie viel zu wenig berücksichtigt,wie all das, was wir psychodynamisch als„Widerstand“ bezeichnen, in bewusstesund unbewusstes Seelenleben eingeht –und wie im Feld der psychologisch-psychotherapeutischenTheoriekonstruktiondie vertrackte Psychodynamik von vielfältigenAbwehrprozessen eine entscheidendeRolle spielt für alle empirisch interessantenKonzeptualisierungen von unbewusstenseelischen Prozessen. William James undSigmund Freud haben sich leider nur eineinziges Mal im direkten Gespräch getroffen– 1909 bei der Jubiläumsfeier derClark University in Massachusetts. Obwohlwir James heute als einen aufregendenVordenker der Psychologie der Aufmerksamkeit,des Bewusstseinsstroms und derErinnerung neu entdecken sollten, müssenwir seine Argumente gegen den wissenschaftlichenSinn von Konstrukten einerbewusstseinsfreien geistig-seelischenAktivität doch als vorschnell und unnötigzurückweisen. 11Alasdair MacIntyres Verständnis von freudianischenBegriffen des Unbewussten leidet,wie er interessanterweise im philosophischenRückblick selbst sieht, an einerFixierung auf die vermeintliche Nichtbeobachtbarkeitdes von Freud postulierten Unbewussten.Tatsächlich: Ein Nichtbeobachtbaresmuss das Unbewusste jedenfallsfür alle Beobachter bleiben, die denverengten, auf Wahrnehmung durch diefünf Sinne eingeschränkten Beobachtungsbegriffdes logischen Empirismus langeZeit so vor sich her getragen haben wiekatholische Priester die Monstranz mit derkleinen weißen Hostie. Alasdair MacIntyres1958 erschienene Studie The Unconscious:A Conceptual Analysis verharrte zusehr in diesem engen Blickwinkel des logischenEmpirismus, wie MacIntyre im Vorwortzur Neuauflage 2004 selbstkritischvermerkt (MacIntyre, 1958). Infolge dieserFixierung vergaß MacIntyre, die Erkenntnisressourcender hermeneutischen Methodedes freien Assoziierens und des Deutensangemessen zu würdigen – was errückblickend bedauert, aber heute auchnicht wieder gutmachen kann.Adolf Grünbaum, der seit 1980 für die philosophischenCredentials der Psychologiedes Unbewussten verderblichste philosophischeKritiker, hat einen Teil seiner Angriffenun gegen die Erkenntnisressourcender hermeneutischen Methode des freienAssoziierens und des Deutens gerichtet(Grünbaum, 1988; 1993). Der scharfzüngigeintellektuelle Journalist Karl Kraus, einZeitgenosse und Landsmann Freuds, erklärteeinst in einem bekannten bonmot,die Psychoanalyse sei selbst die Krankheit,für deren Therapie sie sich hält. Der philosophischeWissenschaftstheoretiker AdolfGrünbaum – übrigens gleichfalls gebürtigerÖsterreicher – behandelt Freuds Theoriebildungselbst als die große Rationalisierung,für deren Auflösung sie sich hält.Grünbaum diagnostiziert nämlich eine Anfälligkeitder hermeneutischen Methodedes freien Assoziierens und des Deutensfür zirkuläre Selbstbestätigungen: Analytikerund Analysand, wenn sie diese Methodezusammen handhaben, sind nicht dagegengefeit, latenten Sinn weniger zufinden als zu machen, und zwar so zu machen,dass sie vor allem finden, was sievorweg schon an Sinn investieren (vgl.Grünbaum, 1988, bes. Teil II: „Der Eckpfeilerdes psychoanalytischen Gebäudes. Istdie Freudsche Verdrängungstheorie wohlbegründet?“,S. 285-288, sowie Kettner,1998). Für den Analytiker heißt das: dasser findet, was er vorweg schon an Sinn investierthat, gelenkt durch die Hintergrundannahmenderjenigen theoretischen Position,mit der er sich eben identifiziert. Kurzgesagt: Wer aus theoretischen Gründen anstrukturellen Penisneid bei Frauen glaubt,wird ihn bei Analysandinnen auch finden;wer das theoretische Konzept einer „paranoid-schizoidenPosition“ verwendet, wirdbeim Interpretieren von Phantasielebendieses Konzept bestätigen können.Stellen wir uns für einen Moment auf denStandpunkt gewiefter Konstruktivisten undIntersubjektivisten. Dann werden wir vielleichtsagen, solche Zirkularität der Sinnbildungschade gar nicht, sei im Gegenteil diepsychotherapeutisch hilfreiche Konstruktioneines gemeinsamen seelischen Raums vonPsychotherapeut und Patient und diene inletzter Instanz der lebensförderlichen Neuerfindungdes Patienten in dessen Narrationüber sich selbst (vgl. z. B. Hinz, 2000 oderOrange, Atwood & Stolorow, 2001). Vermuthttp://sciencewars.tripod.com/sowie denArtikel des Evolutionsbiologen Stephen JayGould http://www.stephenjaygould.org/library/gould_science-wars.html(aufgerufen1.11.2012).11 Siehe hierzu Levy, 1996, S.82-80.242 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2013</strong>

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