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Psychotherapeutenjournal 3/2013 (.pdf)

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Zur aktuellen Berufsbilddiskussion – eine besorgte Polemikbensweltlichen Aufgaben verorten müssen.2Die GKV, das heißt die solidarische Krankenversorgung,in die die beiden neuenBerufe eingetreten sind, ist inzwischen ineine Gesundheitswirtschaft transformiertworden. Dort werden nicht mehr Krankebehandelt, was ursprünglich die Aufgabeder Heilberufe war, sondern es wird Gesundheitproduziert. Diesem Gesichtspunktwird in den Ausführungen von RainerRichter zwar Rechnung getragen, erwird aber nicht in seiner grundsätzlichenSchärfe bedacht. Das zeigt sich besondersim Absatz über die „Berufsbilder der Gesundheitsberufe“,weil der Titel „Gesundheitsberufe“– anstelle von „Heilberufe“,und damit Diktion und Logik der Gesundheitsökonomie– übernommen wird.Die Übernahme des Namens kann manals eine Kapitulationserklärung in den Auseinandersetzungenzwischen System undLebenswelt verstehen. Deren Diskrepanzist aber unausweichlich und eine Grundspannung,die sich im Berufsbild der neuenHeilberufe darstellt und ausgeglichenwerden muss. Wenn die Bezeichnung der„Heilberufe“ als „Gesundheitsberufe“ eineKapitulation ist, stellt sich noch die Frage,ob es eine geordnete Kapitulation ist, diedem Unterlegenen einen ehrenvollenRückzug und die Bewahrung seiner Identitäterlaubt, oder eine bedingungslose Kapitulation,die dazu führt, dass alles, wasdem Unterlegenen vorher gehörte, schamlosausgebeutet werden und fremder Nutzungzugeführt werden kann; sowie dassdie Besiegten die Bezeichnung der Siegerfür sich übernehmen und ihr Selbstbildentsprechend transformieren müssen.Wenn so etwas geschehen ist, entsprichtdies dem Kolonialisierungskonzept vonHabermas (vgl. Die Aufgabe der Psychotherapiein der Gesundheitswirtschaft,Hardt & Müller, 2009).Der Konflikt zwischen System und Lebensweltist virulent und wird sich trotz vorläufigerBeruhigung fortsetzen. Die freien Berufemit ihren Standesvertretungen (Kammern)sind Entwicklungsbremsen in derGlobalisierung der Märkte und es gibt politischeBestrebungen, sich ihrer zu entledigen.Das drückt sich darin aus, dass dieselbstständigen Heilberufe zu Leistungserbringernin der Gesundheitswirtschaft wurden,die den Wettbewerbsgesetzen einesweitgehend entfesselnden Marktes (F.Hengsbach) gehorchen sollen (Hardt,2012).Die unverkennbar neoliberale Version einerGesundheitsversorgung unterliegt einernur noch geringen und gewissen politischenSteuerung: 3 dem New Public Management(NPM), das von Politikern wieMargret Thatcher und Ronald Reagan alspolitische Agenda initiiert, von gemäßigtlinken Politikern wie Bill Clinton, Tony Blairund Gerhard Schröder als notwendige Reformdurchgesetzt worden ist (Was als Modernisierungangepriesen wurde, war aberder Rückbau moderner Errungenschaften!).Das NPM verlangt, die „Gemeinschaftsaufgaben“,wie z. B. Bildung undKrankenversorgung, aus der gemeinschaftlichenKontrolle zu „befreien“ und demMarkt auszusetzen, um damit den nichtmehr bezahlbaren Fortschritt in der „Versorgung“für die Gesellschaft finanzierbarzu machen. Dass mit dieser Transformationkeine Kostendämpfung, wohl aber eineUmverteilung der Gewinne zuungunstender „Leistungserbringer“ erfolgte, kannman an den unterschiedlichen Einkommensentwicklungendeutlich erkennen.Das Wettbewerbsstärkungsgesetz hat nichtden versprochenen Effekt erreicht, wie beiallen neoliberalen Reformmaßnahmen zubeobachten – die eingetretene Beruhigunghängt wohl eher mit einer Resignationvor der Übermacht zusammen.Man kann die Skizze von Rainer Richterwie eine Kapitulationserklärung in diesemKulturkampf verstehen: Die Sprache desSystems hat sich durchgesetzt. PP undKJP sind zuerst „Gesundheitsberuf“. Siesind nicht mehr zuerst und wesentlich einselbstständiger und selbstbewusster Heilberuf,der seinen Kern im Ethos des Heilensund der Verpflichtung gegenüber derGemeinschaft hat und dessen Identität inder selbstverantwortlichen Kammer demokratischartikuliert wird, sondern siesind wettbewerbliche „Leistungserbringer“in einer Gesundheit produzierendenIndustrie (Wirtschaft) geworden, die nachfreien Marktgesetzen ihr Geschäft betreibt.So weit, so schlimm: eine bedauerlicheEntwicklung, die vielleicht nur dadurch zuerklären ist, dass viele glauben, die Wahrheitliege bei den siegenden Mächten unddem Kapital. Um sich zu definieren, sindPP und KJP in die Auseinandersetzung mitder Gesundheitswirtschaft gezogen undhaben sich nicht gegen die Mittel, mit denender Kampf ausgetragen wurde, gewehrt,sondern sind dem Gesetz des Stärkerenfreiwillig gefolgt, dem sie schließlichunterlegen sind. Sich als Mitgewinner (etablierterGesundheitsberuf) zu sehen, isteine Illusion, denn die Entwicklung einesentfesselten Marktes folgt den Gesetzendes Kapitals und den zu erwartenden Gewinnender Parteien. PP und KJP sind aberauf diesem Markt eine äußerst schwachePartei. Sie können nur ihre eigene Leistungeinbringen. Das große Geld wird von anderenGesundheitsanbietern bewegt. PP undKJP sind nur lästige Kostenverursacher.Wie kann in einer solchen Lage die Explikationeines eigenständigen Berufsbildes gelingen?Wie ist es möglich, sich von Fremdbestimmungenzu befreien oder wie istdas implizite Verständnis der Praxis autonomzu explizieren? Welche Aufgaben sehenPsychotherapeuten in ihrem Beruf,geht es um Heilbehandlungen von Patientenoder Klienten oder auch um die Bedingungen,unter denen sie geleistet werden?Geht es nur darum, dass PP und KJP einemilde kritische Distanz zum System einhaltenund dessen Reparatur oder Umformungverlangen, sodass die Psychotherapiedarin einen mehr oder weniger angenehmenPlatz hat, oder gehört eine „gesellschaftskritische“Haltung zum Beruf? Istdie dezentrierte Position, die wir gegenüberdem Patienten einnehmen müssen,auch der Gesellschaft gegenüber einzuhal-2 Die Hessische Psychotherapeutenkammerhat sich in dieser Auseinandersetzung deutlichzur Lebenswelt bekannt, wie aus den„Grundsätzen der Kammerarbeit“, dem „GeisenheimerManifest“ (LPPKJP Hessen,2005), zu entnehmen ist. Außerdem istdurch ihre Anregung die Arbeitsgemeinschaft„Heilen und Helfen“ der hessischen Heilberufekammernentstanden, die sich gegen dieTransformation der lebensweltlich-solidarischenKrankenbehandlung in eine entfesselteGesundheitswirtschaft gewendet hat(Hardt, 2007).3 Zum Folgenden eine um Sachlichkeit bemühteÜbersicht in Steger & Roy, 2010 sowieWalpen, 2004.254 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2013</strong>

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