Aktuelles aus der ForschungSport als begleitende Maßnahme bei derPsychotherapie depressiver PatientenImplikationen für die psychotherapeutische PraxisNina SarubinDer folgende Artikel beschäftigt sich mitMediatoren und Moderatoren, welche dieWirksamkeit von Sport 1 als komplementäreTherapieform bei unipolarer Depressionerklären könnten.Depression ist eines der weltweit größtenGesundheitsprobleme: Der Einfluss vonDepressionen auf körperliche Gesundheit,subjektive Lebensqualität und das allgemeineFunktionsniveau ist immens (Princeet al., 2007). Depression wird nach Prognoseder World Health Organization(WHO) im Jahr 2030 nach HIV auf Platzzwei der belastendsten und häufigstenKrankheiten weltweit gesehen, gemessenan verlorenen Lebensjahren (disability-adjustedlife years = DALYs) (WHO, 2001).Weltweit sind ca. 121 Millionen Menschenan einer Depression erkrankt, ihre Behandlungerfolgt in der Regel mit Antidepressiva,Psychotherapie oder einer Kombinationaus beidem (Moussavi et al., 2007).Dies führt jedoch nicht immer zu dem erwünschtenBehandlungserfolg, sodass einBedarf nach alternativen bzw. ergänzendenBehandlungsoptionen, wie z. B. sporttherapeutischenAngeboten, zu bestehenscheint. Die positiven, d. h. milderndenEffekte von Sport auf die depressive Symptomatikwerden mittlerweile seit mehrerenJahrzehnten untersucht:Sport und physische Aktivität werden sowohlzur Prävention als auch zur Behandlungverschiedener psychischer Störungen,wie affektiven Erkrankungen, Essstörungen,Schizophrenie und Angststörungen,eingesetzt (Wolff et al., 2011). EpidemiologischeStudien deuten zudem darauf hin,dass Sport sowohl zu einem späteren Beginnpsychischer Erkrankungen (Goodwin,2003) als auch zu einer höheren Lebensqualitätvon psychiatrischen Patienten 2 beiträgt(Schmitz et al., 2004).Die positiven Effekte von Sport speziell aufdepressive und ängstliche Symptome wurdensowohl in Reviews (Salmon, 2000;Gauvin & Spence, 1996; Scully et al., 1998;Folkins & Sime, 1981; Byrne & Byrne, 1993;Brosse et al., 2002) als auch in zahlreichenMetaanalysen (Mead et al., 2009; Long &Vanstavel, 1995; Lawlor & Hopker 2001;North et al., 1990; Craft & Landers, 1998)belegt.Sport ist nicht nur als zusätzlicher Therapiebaustein(Augmentation) bei Depressionwirksam, sondern es zeigten sich auchfür Sport als alleinige Therapieform – imVergleich zu einer medikamentösen Behandlung– ähnlich hohe Effektstärkenbzgl. der Reduktion von depressiven Symptomen(Blumenthal et al., 2007; Mead etal., 2009; Helmich et al., 2010). Eine Metaanalysevon Mead (2009) weist zudemdarauf hin, dass Sport ähnlich effektiv wiekognitive Verhaltenstherapie gegen depressiveSymptome wirken kann.Follow-up-Untersuchungen belegen, dassPatienten, welche während des stationärenAufenthaltes in einer Psychiatrie Sportzusätzlich zu einer medikamentösen Behandlungbetrieben haben, eine geringereRückfallrate haben als Patienten, die lediglichmedikamentös behandelt wurden;dies gilt v. a. dann, wenn die sportlicheAktivität auch nach der Entlassung beibehaltenwurde (Babyak et al., 2000; Hoffmannet al., 2011).Bei physischer Aktivität sind generell zweiArten der Betätigung zu unterscheiden:aerobes Training (Ausdauersport, z. B. Walken,Joggen, Training zur Steigerung derkardialen-respiratorischen Leistungsfähigkeit)und anaerobes Training (zur Verbesserungvon Koordination, Flexibilität undAufbau der Muskulatur). Die Art der sportlichenAktivität hat Einfluss auf das Ergebnisder Depressionsbehandlung: Ausdauersportführt zu mittleren Effekten bezüglicheiner Reduktion depressiver Symptomatik(die meisten Studien liegen hierzuzu Joggen vor), während gemischte Trai-1 Zur Vereinfachung wird in diesem Artikel„Sport“ stets als Metabegriff für jegliche Artder körperlichen Aktivität verwendet.2 Zur besseren Lesbarkeit werden im folgendenText nicht durchgehend die männlichenund weiblichen Formen genannt. Soweitnicht explizit angegeben sind jedoch immerMänner und Frauen gleichermaßen gemeint.278 <strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2013</strong>
N. Sarubinningsformen – wie z. B. Ausdauer- undKrafttraining – zu höheren Effektstärkenführen (Mead et al., 2009).Diese Belege für einen Zusammenhangzwischen gemischten Trainingsformen undhohen Effektstärken können jedoch nochnicht erklären, welche settingspezifischenBedingungen hierbei wirksam werden,d. h., inwiefern sich z. B. zeitliche Dauerdes Trainings, Trainingsintervall, Einzel- vs.Gruppentraining unter kontrollierten klinischenBedingungen auf die symptomatischenVerbesserungen bei depressivenPatienten auswirken. Hierzu sind weitereStudien erforderlich.Trotz der immensen Forschungsbemühungenin den letzten Jahren sind die Mechanismender therapeutischen Wirksamkeitvon Sport als zusätzlichem Therapiebausteinweitgehend ungeklärt. Kann Sport als„neues“ Antidepressivum betrachtet werden?Welche physiologischen und psychologischenVeränderungen gehen bei depressivenPatienten mit sportlicher Aktivitäteinher? Sind Effekte der Symptomreduktionprimär durch den Sport an sich odersekundär durch den mit der sportlichenAktivität verbundenen therapeutischen/sozialen Kontakt, mit Ablenkung oder Körperbildveränderungenetc. erklärbar? Dienachfolgend berichteten Artikel geben Einblickin den aktuellen Forschungsstand zudiesen interessanten Fragen.Sport und Depression – wie hängt das zusammen?Mead, G. E., Morley, W., Campbell, P.,Greig, C. A., McMurdo, M. & Lawlor, D. A.(2009). Exercise for depression (Review).Cochrane Database of Systematic Reviews2009, Issue 3. Art. No.: CD004366.DOI: 10.1002/ 14651858.CD004366.pub4. Seiten: 1-49.Die Autoren dieses Reviews haben sichzum Ziel gesetzt, mittels Analyse der DatenbankenMedline, Embase, Sports Discus,PsycINFO, Cochrane Controlled TrialsRegister und Cochrane Database of SystematicReviews die Wirksamkeit von Sportbei depressiven Erkrankungen genauer zuuntersuchen. Eingeschlossen wurdenschließlich 28 randomisierte und kontrollierteStudien mit depressiven Patienten(ausgeschlossen waren Patientinnen mitpostpartaler Depression) ab einem Altervon 18 Jahren, die irgendeiner Form vonsportlicher Aktivität nachgingen (jeweilsdefiniert gemäß den Autoren der klinischenStudien) – unabhängig davon, obim Studiendesign die Sportinterventionmit keiner Behandlung/Warteliste/Placebooder mit irgendeiner anderen Form der Intervention(Pharmakotherapie, Psychotherapieoder andere Interventionsformen)verglichen wurde.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2013</strong>Einführend erläutern die Autoren die Notwendigkeitdieses Reviews: Gängige Depressionsbehandlungenwie Medikationoder Psychotherapie könnten nicht immeralle Symptome heilen. Zudem führe jedeIntervention neben den erwünschten positivenEffekten auch zu unerwünschten Nebenwirkungen,z. B. könnten Antidepressivazu den bereits bekannten physiologischenNebenwirkungen führen, währendPsychotherapie oftmals wegen einer vonden Patienten wahrgenommenen Stigmatisierungnicht in Anspruch genommenwürde. Die Anwendung alternativer Therapieformenwie Sport könnte auch als Ausdruckder Unzufriedenheit eines Patientenmit konventionellen Therapieformen interpretiertwerden. Depression sei zudem miteinem niedrigen Level an physischer Aktivitätassoziiert, wobei die Kausalität diesesZusammenhangs nicht ganz klar zu seinscheine. Alle bisherigen Metaanalysendeuteten jedoch darauf hin, dass Sport beiDepression einen Nutzen habe. Leider seiendie bisherigen Metaanalysen jedochzum Teil methodisch zu bemängeln (z. B.gepoolte Datensätze, unkontrollierte Studien).Zur Analyse der 28 eingeschlossenen Studienentschieden sich die Autoren für zweiAuswertungsrichtungen: der Einfluss vonSport auf die depressive Symptomatik imVergleich zu keiner Intervention und derEinfluss von Sport auf Depression im Vergleichzu einer anderen Intervention (z. B.Medikation oder Psychotherapie). Diemeisten Studien (21) beinhalteten alsSportinterventionen aerobes Training (z. B.Jogging).Als Ergebnis des Reviews fassen die Autorenzusammen, dass Sport zu großen Effektenbzgl. der Reduktion depressiverSymptome im Vergleich zu keiner Behandlung(oder einer Placebobehandlung)führt. Die Effektstärken schrumpften allerdingsbedenklich auf ein z. T. nicht mehrsignifikantes Niveau, wenn in der statistischenAnalyse strengere Einschlusskriterienfür die Studien (z. B. nur verblindeteOutcome-Messungen) gewählt wurden.Die höchsten Effektstärken erreichtendann sogenannte „gemischte“ Interventionen,bei denen die depressiven Patientensowohl Kraft- als auch Ausdauertrainingseinheitenerhielten.Im Vergleich Sport vs. bereits etablierte Behandlungsangebote(wie etwa Psychotherapieoder antidepressive Medikation), ergabensich keine signifikanten Unterschiedebzgl. der Reduktion depressiver Symptome.Langzeitstudien deuten darauf hin,dass die günstigen stimmungsaufhellendenEffekte von Sport bei depressiven Patientensukzessive nach Abschluss derSportintervention verloren gehen. Dies impliziert,dass nur langfristiges Training einegute Prognose bzgl. Response und Rückfallprophylaxebieten kann.Die Autoren schlussfolgern, dass Sport beiPatienten mit unipolarer Depression empfohlenwerden kann. Präzise Antworten aufdie offenen Fragen – etwa nach der optimalenzeitlichen Dauer der Ausübung vonSport, nach der effektivsten Art des Sports,der optimalen Frequenz oder des Settings(drinnen oder draußen, mit Trainer oderohne etc.) – konnten aus dem Review jedochnicht abgeleitet werden.Kommentar: Studien, die Outcome-Variablen(z. B. HAMD, BDI etc.) direkt nach dersportlichen Intervention erfassen, wurdennicht im Review genannt. Dies ist bedauerlich,da Sport durchaus als spezielle Formder (akuten) Emotionsregulation betrach-279