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Psychotherapeutenjournal 3/2013 (.pdf)

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M. Kettnerlich könnte sogar Adolf Grünbaum so vielKonstruktivismus und Intersubjektivismusakzeptieren. Nur würde er entgegnen –und das bleibt ein Stachel –, dass zirkuläreSinnbildung womöglich im Kontext von Psychotherapiehilfreich sein, in dem ganz anderenKontext der Datengewinnung für diewissenschaftliche Theoriebildung sich abernur fatal auswirken kann. Was zum Zweckder Psychotherapie gut ist, ist deshalb nichtauch schon gut für die Theorie. Grünbaumspricht hier von „Kontamination“ und „Suggestionsanfälligkeit“der klinisch erhobenenDaten. Zu einem der schärfsten, von philosophischenund auch psychologischenFeinden der Psychoanalyse begierig aufgegriffenenEinwände Grünbaums gegen diePsychologie des Unbewussten wurde daherGrünbaums Behauptung, dass nur –und nur – die „extraklinischen“ Vergewisserungsweisengeeignete und wissenschaftlichanerkennungswürdige Verfahren wären,um die wichtigsten psychoanalytischen Annahmenund Konzepte zu testen. Als „extraklinisch“bezeichnet Grünbaum solchehypothesentestenden Verfahren, die nurDaten und Evidenzen von außerhalb derklinischen Psychotherapiesituation verwerten– z. B. Daten aus der nachträglichenqualitativ-quantitativen Erforschung vondokumentierten Psychotherapieprozessenoder unabhängig erhobene epidemiologischeDaten.Grünbaums Behauptung, das können wirim Rückblick sagen, beruht allerdings aufeiner sehr fragwürdigen Dichotomie zwischenextraklinischen und intraklinischenDaten und ihrer jeweiligen wissenschaftlichenVertrauenswürdigkeit und Belegkraft.12Grünbaums Kritik der Grundlagen der Psychoanalyseenthält neben einigen gutenHerausforderungen viele Missverständnisse.Allerdings hat die überwiegende unfreundlicheAufnahme seiner Argumentein den Reihen der Kritisierten ebenfallsmassive Missverständnisse produziert.Zum Beispiel haben die Angegriffenen leiderkaum bemerkt, dass Grünbaum einemfrüheren „Gegner der Psychoanalyse“ seinerGeschäftsgrundlage beraubt: Sir KarlRaimund Popper, der einst die schrille Warnungvor der angeblich unfalsifizierbaren„Pseudowissenschaft” Psychoanalyse ausgab,wird von Grünbaum mit guten Argumentenabserviert. 13Natürlich hat auch die Verhaltenstherapiephilosophische, gewisse Grundannahmeninfrage stellende Kritik erfahren. 14 EineÜbersicht über die wichtigsten philosophischenProblematisierungen würde leiderden Rahmen des vorliegenden Textssprengen.Chancen auf beidenSeiten: Kooperation vorKonfrontationSoweit Philosophieren ein Nachdenken ist,das sich so radikal wie möglich und so wenigborniert wie möglich für die relativeVernünftigkeit menschlicher Praxis interessiert– was für eine Praxis auch immer diessei –, soweit darf praktisches und theoretischesPhilosophieren über die Realitätender menschentypischen Lebensform nichtvornehm tun gegen das reichhaltige, überviele Jahrzehnte im großen Felde der Psychotherapienakkumulierte Erfahrungswissen.Deshalb wäre von der Devise „Kooperationvor Konfrontation“ eine heilsameWirkung nicht nur für Psychotherapie undPsychologie zu erwarten, sondern auch fürdie Philosophie.Wer z. B. philosophisch über die kapitalistischeMarktwirtschaft nachdenken will, etwaim Rahmen kritischer Wirtschaftsethik,dabei aber nur die Rationalitätsfiktionender Märkte oder die Normativität vonrechtlichen Rahmenordnungen thematisiert,jedoch das psychoanalytische Wissenüber Gier, Neid, Rivalität und Fetischismusignoriert, der kann nur wirklichkeitsunterbietendphilosophieren.Wer über Demokratie, über die Inklusionund Exklusion von Menschen, über die Fragilitätvon Multikulturalismus „philosophischanalytisch“ nachdenkt, wer dieEmergenz normativer Ordnungen von Völker-und Menschenrechten philosophischbegründen und rationalisieren möchte,dabei aber das psychoanalytische Wissenüber die Störbarkeit der Entwicklung vonWir-Identität und Ich-Identität, über Verachtung,Fremdenhass und Selbsthass ignoriert,der kann nur wirklichkeitsunterbietendphilosophieren.Wer über Emotionen und Affekte philosophiert,dabei aber das psychoanalytischeund kognitiv-behaviorale Wissen übermenschliches Gefühlsleben ignoriert, wirdnur alten Wein in neuen Schläuchen produzierenoder, weil unsere philosophischeProfessionalität uns unweigerlich zu sophisticatedtechnicalities treibt, viele terminologischgespreizte Banalitäten.Wer schließlich in der philosophischen Ethiküber die motivationale Seite des moralischenSollens, über die Grundlagen moralischerNormen und die Entwicklung desmenschlichen Moralbewusstseins nachdenkt,wird psychoanalytische Einsichteneinbeziehen müssen (Scheffler, 1992).Wir Philosophen, das sei jetzt adversos academicosgesagt, sollten die Diskurshoheitnicht denjenigen unter uns überlassen, diesich selbst als die harten Rationalisten inszenieren.Wir sollten vielmehr für die Erschließungund Kartierung alles Seelischen,Subjektiven und Geistigen die Erfahrungderjenigen zu Rate ziehen, die als Psychotherapeutenprofessionell mit Leiden umgehen– mit den Leiden, die aus gestörtenVerhältnissen entspringen, unter denen dieMenschen als stets nur begrenzt der Selbststeuerung(Autonomie) mächtige Personenzurechtkommen müssen. Unsere stets nurbegrenzte Autonomie macht, dass wir inkonfliktiver Spannung leben zwischen einerseitsdem Leben, das wir tatsächlich führen,und andererseits dem Leben, das wirführen würden, wenn wir wüssten, was wirwirklich wollen, oder auch nur wüssten, wasuns davon abhält, dies zu wissen und zukönnen.12 Vgl. Levy (1996), bes. S.173-177, zur Kritik anGrünbaums missverständliche Behauptung,beobachteter Therapieerfolg liefere keinerleiGründe für die Erhärtung der in die Therapieinvestierten psychologischen Theorie.13 Vgl. bes. Kapitel 11, „Koda zur exegetischenMythenbildung in Karl Poppers Anklage gegendie klinische Bestätigung der Psychonanalyse“in Grünbaum, 1988.14 Zum Beispiel werden die in der VT gängigenKonzeptualisierung des „Kognitiven“ als lebensweltlichunpassend kritisiert, sieheMcEachrane, 2009.<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2013</strong>243

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