<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>323.5 SchlussbetrachtungWir haben versucht Gott unseren Mund zu leihen. Wir haben uns überlegt, was Gott wohl zu unssagt, wo immer wir auch stehen mit unseren Gottesfragen, mit unseren Gottesbildern, mit unserenGotteserfahrungen. Gott spricht vielfach und zahlreich zu uns, in unzähligen Stimmen, ob wir ihnhören oder nicht. Gott schweigt für uns, ob wir seiner Stille trauen oder auch nicht. Aber immerzudürfen wir von ihm ein Segenswort erwarten. Was immer Gott uns auch sagt, es mündet in einenSegen aus:Der Herr segne uns und behüte uns. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über uns und sei unsgnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht über uns und gebe uns Frieden. Das gewähre uns der guteGott, + der Vater und der Sohn und der Heilige Geist. Amen
<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>334 Vierter Abend: Mich in Gott spiegeln4.1 EinstimmungWie kann ich mich in Gott spiegeln, und was sehe ich in ihm, in mir, im Spiegel meiner Selbst oderseiner Göttlichkeit? Dieser Frage möchten wir am heutigen Abend nachgehen und verknüpfen damitzwei Dinge. Denn zuletzt haben wir den Blick auf Gott gewandt, unser Ohr in seine Richtung geneigtund gefragt, was Gott uns an den verschiedenen Situationen und Positionen meines Lebens- undGlaubensweges mir sagen will. Und zuvor haben wir den Blick auf uns selbst gewandt, worauf ichreligiös ruhe, was meine Säulen des Glaubens sind. Wir versuchen also, meine Perspektivenzusammen zu holen und dazu brauchen wir einen Spiegel.Zur Einstimmung möchte ich zum wiederholten Male Rilke hervorholen. Ich lese ein Gedicht von ihmzunächst einmal ganz vor und deute es dann um, biege es zurecht für unser Interesse, zu sehen, wases heisst, erwachsen zu <strong>glauben</strong>.RilkeIch will dich immer spiegeln in ganzer Gestalt,und will niemals blind sein oder zu altum dein schweres schwankendes Bild zu halten.Ich will mich entfalten.Nirgends will ich gebogen bleiben,denn dort bin ich gelogen, wo ich gebogen bin.Und ich will meinen Sinnwahr vor dir. Ich will mich beschreibenwie ein Bild das ich sah,lange und nah,wie ein Wort, das ich begriff,wie meinen täglichen Krug.Ich möchte diese Zeilen etwas umbiegen für unsere Interessen:• „Ich will dich immer spiegeln in ganzer Gestalt, und will niemals blind sein oder zu alt umdein schweres schwankendes Bild zu halten.“ - Ich frage mich, wer der Adressat dieser Zeilenist: Schaue ich mich selbst an in einem Spiegel und sehe mich, mit dem Vorsatz, meinenAnblick immer zu tragen und zu erhalten? Oder ist es ein anderer Mensch, vielleicht einermeiner Nächsten, mit dem ich mein Leben teile? Wir kennen diese Effekte, dass Menschenim engsten Umkreis oftmals wie ein Spiegel funktionieren können. Meine Kinder halten mirmein schweres schwankendes Bild oft genug vor die eigenen Augen. Oder spreche ich dieseZeile wie ein Gebet an Gott, von dem ich nur ein so schweres wie schwankendes Bilderhalten kann, und für den ich niemals blind und niemals zu alt bin?• Ich will mich entfalten. - Wenn ich erwachsen werde, wenn ich wachsen und reifen will, dannheisst das ja immer, dass ich etwas aus mir heraus entwickle, kaum, dass ich etwas vonaussen mir überstülpe oder kopiere. Darum ist auch geistliches Wachstum immer eine Formvon Selbstentfaltung, um das aus mir herauszuholen, was Gott dort hineingelegt hat.• Nirgends will ich gebogen bleiben, denn dort bin ich gelogen, wo ich gebogen bin. - Das istein guter Vorsatz, dass ich so wahr und ehrlich mit mir selbst sein will, so transparent, dassich alles offen lege. In der Regel löst das eher grosse versteckte Befürchtungen aus. Aber dasPositive sticht auch hier heraus: ich habe Stellen in meiner Seele oder Psyche, wo ich