<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>8Phantasie hervor und sie redet davon, dass ihr Schutzengel bei ihrer Geburt eine Strickleiter geknüpfthat. Dieser Schutzengel hat eine echte Aufgabe. Faszinierend ist auch hier, dass Mari keine Angst vordem Tod formuliert, sondern sie hat sich eine Erklärung zurechtgelegt, wie das dann mal sein wird,und das genügt ihr für den Moment.Allaguié, 7 Jahre, sagt:„Gott ist ein bisschen durchsichtig. Und er sieht aus wie eine Mischung aus Weihnachtsmannund Nikolaus.“Für viele Kinder ist es sehr reizvoll, sich Gott irgendwie vorzustellen, weil es ja nicht geht, ihn sichvorzustellen. Etwas, das ich nicht mit den Augen sehen kann, reizt die kindliche Vorstellungskraftungemein. Daher kommt dieser Ausdruck, dass Gott ein bisschen durchsichtig sei. Das ist einzentraler Punkt auch für die heutige Kindertheologie: Die Gottesfrage wird hier sehr deutlich und inaller Klarheit aufgebraucht: Wie kann etwas aussehen, das ich nicht sehen kann? Zudem habenKinder weniger Probleme damit, die Figuren hinzuzunehmen, die sich in unserer Geisteskultur ebenanbieten, und damit sind wir schnell wieder beim bärtigen alten Mann. Wichtig ist dann nicht mehr,was das für eine Figur ist, die dann plötzlich doch mit Augen zu sehen ist, sondern was diese Persontut, nämlich Bonbons und Schokolade verteilen. Gott ist derjenige, der selten vorbeikommt, den ichaufgrund von seinem hohen Wiedererkennungsgrad aber trotzdem erkenne und dem ich daher auchvertraue wie alle anderen auch, und er ist einer, der mich überreich beschenkt.Layla, 7 Jahre, sagt:„Natürlich kommen auch Tiere in den Himmel. Für jede Art von Tier gibt es einen eigenen.Mein toter Hamster lebt jetzt zum Beispiel im Hamsterhimmel. Doof finde ich, dass er mirimmer noch nicht meinen Wunsch erfüllt hat, eine Sternschnuppe zu sehen. Sonst bin ich mitGott zufrieden.“Ähnlich wie die Frage nach der Unsichtbarkeit Gottes ist auch die Thematik rund um Tod und Sterbenetwas Typisches im Kindheits<strong>glauben</strong>. Häufig ist dabei in der Tat ein realer Tod der Auslöser, egal obes sich dabei um den Grossvater, den Nachbarn oder um ein Haustier handelt. Wir erahnen auch,dass Eltern hier schnell haben trösten wollen und vom Hamsterhimmel gesprochen haben. Aber dasKind merkt bereits, dass da etwas nicht richtig gelaufen ist, weil es hat seine Sternschnuppe nichtbekommen. Es zeigt sich hier auch gut diese ichzentrierte Sichtweise in der kindlichenWunscherfüllung: Du bist okay, solange ich bekomme, was ich will. Kinder bringen das manchmalwunderbar deutlich auf den Punkt.Arda, 8 Jahre, sagt:„Ob Gott ein Mädchen ist oder ein Junge, weiss man nicht so genau. Ich glaube ja eher: Er istein Junge. Weil es DER Gott heisst. Aber ich bin mir nicht sicher. Wenn ich ihn treffen würde,würde ich ihn das als Erstes fragen. Einen Engel habe ich schon mal getroffen, im Traum. Erwar gelb und hatte weisse, glänzende Flügel. Wir haben dann zusammen Fussball gespielt.Und weil man mit Flügeln viel schneller ist, hat er mir auch Flügel gezaubert. Das war toll.“Diese Bemerkung zeugt nicht nur von den ersten Grammatiklektionen, sondern auch von diesertypischen Mischung aus Erinnerungsbruchstücken und Phantasie, die ein Niemalsland ausmachen.Das Kind kann hier in der allergrössten Selbstverständlichkeit und Unbefangenheit von Fussballspielenden Engeln berichten.Piet, 8 Jahre, sagt:„Ich war schon mal im Himmel. Im Traum. Da kam ein Engel, ich bin auf seinen Rückengeklettert, und wir sind einmal über alles drübergeflogen. Der Engel hat mir auch erklärt,dass sich im Himmel keiner streitet, sondern dass man alles verhandelt. Es ist da viel schönerals auf der Erde.“
<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>9Wahrscheinlich hat dieser Junge einen <strong>Erwachsen</strong>en gefragt, was denn der Himmel ist, und dieAntwort war, dass der Himmel im Gegensatz zur Erde sehr schön und sehr friedlich ist. Faszinierendist, was der Junge daraus macht: wie mit einer Rakete fliegt er auf dem Rücken des Engels einmal hinund schaut sich alles an.Kinder können manchmal sehr direkt sehr existentielle Fragen zu Gott und Glaube stellen, und<strong>Erwachsen</strong>e sind dann schnell um die Antwort verlegen. Wenn ich bei Kindern aber nachfrage, undsie dann weiter beschreiben und erklären, dann wird schnell deutlich, wie zentral eigentlich dieseKinderfragen oft sind.Halten wir für den Moment zunächst einmal fest, dass der Kinderglaube häufig fünf Grundfragenstellt und meist auch beantwortet. Wenn wir jegliche Phantasie und Magie, jeglicheErinnerungsfetzen und das persönliche Erleben einmal wegnehmen, ergeben sich diese folgendenGrundfragen:• Wer bin ich und wer darf ich sein? - Die Frage nach mir selbst.• Warum musst du sterben? - Die Frage nach dem Sinn des Ganzen.• Wo finde ich Schutz und Geborgenheit? - Die Frage nach Gott.• Warum soll ich andere gerecht behandeln? - Die Frage nach dem Grund ethischen Handelns• Warum <strong>glauben</strong> manche Kinder an Allah? - Die Frage nach der Religion der anderen.Dem können wir gleichsam fünf elementare Zusagen gegenüberstellen, die religiöse Erziehung undBegleitung bei Kindern anrührt. Das sind gleichsam die Zusprüche, die wir im Kindheits<strong>glauben</strong>oftmals verinnerlichen:• „Du bist besonders wertvoll!“• „Du bist einzigartig!“• „Du bist angenommen!“• „Du bist nicht verloren!“• „Du bist zur Freiheit befreit!“Wir können uns glücklich schätzen, wenn unsere religiöse Erziehung uns diese Grunderfahrungen haterfahrbar machen können, denn damit ist ein Grundvertrauen in das eigene Leben, zumMitmenschen und zu Gut im Werden. Was wir in diesen wenigen Aussagen vor uns haben, könnenwir die „Milch des Glaubens“ nennen.1.2.3 Was löst den Kindheits<strong>glauben</strong> ab? Fleisch!Zur Ablösung vom Kindheits<strong>glauben</strong>Die einen werden gerne belächelt: „Die <strong>glauben</strong> ja immer noch. Die sind immer noch in ihrer Kindheitsteckengeblieben!“ Die anderen lächeln zurück: „Die sind ja immer noch nicht aus demKindheits<strong>glauben</strong> ihrer Kindheit herausgekommen!“Jugendliche und <strong>Erwachsen</strong>e sehen die Welt anders als mit Kinderaugen. Manche scheinen für denKinder<strong>glauben</strong> anzunehmen, dass er geradlinig mit den körperlichen und seelischen Kräften reift. Daskann, ist aber sehr selten. Wenn der Kinder<strong>glauben</strong> nicht mehr trägt, wird er nicht selten abgelegtwie ein zu klein gewordenes Kleidungsstück. Wie rasch wird der Kinderglaube als löchrig wie einLumpen angesehen, weil er keine Antworten auf die neuen Fragen bietet; ein Windhauch genügtschliesslich, um das ganze Gebäude zum Einsturz zu bringen. Die Trümmer blieben liegen, Neuesentsteht auf der Baustelle nicht. Daran wird erkennbar, wie wichtig es ist, nicht nur in der