<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>40durch andere spiegeln lassen, ich mag Fragenkataloge und Selbstannahme-Übungen absolvieren,aber es braucht auch diese innere Reinigung. Ich drücke diese Überlegung noch einmal in anderenWorten aus: Wenn ich mich in Gott spiegele und mein Selbst sehe, wie Gott mich gedacht hat, undwenn ich dieses wahre, göttliche Selbst im Widerspruch sehe zu dem Menschen, der ich bin oder derich meine zu sein, dann gibt es zwei Möglichkeiten, die auch beide auftreten können: Zum einenkann es für mich eine grosse Erleichterung sein, mich von meinem falschen Selbst zu lösen und mirmein eigenes Herz zu fassen. Zum anderen kann diese Herzensübung mir auch so vorkommen, alswürde etwas in mir sterben, weil ich etwas abgebe. 8 Es ist einfacher sich selbst zu loben als Einübungvon Selbstannahme als sich selbst ein Stück weit loszulassen, um ein reiner Spiegel Gottes zu werden.Vom gleichen Dichter stammt ein Text, indem er uns nicht nur mahnt zu üben, sondern wo er auchbeschreibt, wie Gott in meiner Seele wohnt:„Fragst du, wie Gott, das Wort in einer Seele wohne,so wisse: wie das Licht der Sonnen in der Weltund wie ein Bräutgam sich in seiner Kammer hältund wie ein König sitzt in seinem Reich und Throne,ein Lehrer in der Schul, ein Vater bei dem Sohne,und wie teurer Schatz in einem Ackerfeldund wie ein lieber Gast in einem schönen Zeltund wie ein Kleinod ist in einer guldnen Krone,wie eine Lilie in einem Blumentalund wie ein Saitenspiel bei einem Abendmahlund wie ein Zimmetöl in einer Lamp entzundenund wie ein Himmelsbrot in einem reinen Schreinund wie ein Gartenbrunn und wie ein kühler Wein:sag‘, ob es anderswo so schön wird gefunden?“Wie wohnt Gott dort: wie das Wesentliche, Innerste, und ich muss nur der Raum dafür sein! Aber derText drückt auch etwas Weiteres durch diese wunderbare Bildsprache aus, dass nämlich meine Seelewunderschön ist, weil Gott in ihr hockt.Mit dem spirituellen Lehrmeister, der wohl am deutlichsten vom Gott in der Seele des Menschenspricht, Meister Eckhard, möchte ich diese Hinweise abschliessen:„Gott geht in die Seele mit seinem Ganzen, nicht mit seinem Teil. Gott geht hier in den Grundder Seele hinein. Niemand rührt an den Grund der Seele als Gott allein. Die Kreatur kannnicht in den Grund der Seele, sie muss in den Kräften aussen bleiben. Da mag sie ihr Bildbetrachten, mit Hilfe dessen sie eingezogen ist und Herberge empfangen hat. Gott wirkt inder Seele ohne alles Mittel, Bild oder Gleichnis, ja, tief in dem Grunde, wo nie ein Bild hinkamals er selbst mit seinem eigenen Wesen.“Selbsterkenntnis hat ja auch seine Grenze, der Blick in den Spiegel verstellt ja auch, aber Gott kenntmich immer besser als ich mich selbst. Das ist ein Gedanke, der mich ungemein entlastet.Ich fasse diesen Abschnitt, dass meine Seele ein Spiegel Gottes sein kann, weil Gott auf dem tiefstenGrund meiner Seele eben zu finden ist, kurz zusammen: Der Weg nach innen bringt mich hin zummenschlichen Herzen, und dies braucht eine Einübung, ein Loslassen vom falschen Ich, eineAnnahme dessen, wie Gott mich gedacht hat. Dann mag sich Gott in mir mir erschliessen mit einergrossen Schönheit als das Wesentliche meines Wesens, als das Innerste meines Inneren. Ich mag die8 Vgl. John Ortberg, ICH einzigartig, 30.32.
<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>41Tiefen meines Seele allen Spiegelungen, aller Selbsterkenntnis und aller Selbstannahme niemalsgänzlich ausloten, aber Gott hat das schon längst getan.KonkretIch habe viel von Spiegeln heute erzählt und versucht aufzuzeigen, wie wir Spiegelungen für unsereSelbstentwicklung, auch und erst recht für unsere Selbstheiligung nutzen können. Ich möchte zwei,drei Punkte zusammenfassen:• Ich kann viel für die eigene Selbstannahme tun. Dazu gehören sowohl meine Licht- wieSchattenseiten. Gott ist darin meine grösste Hilfe, weil er mich immer schon angenommenhat und weil ihm keine Schatten zu dunkel sind und das Licht ohnehin sein Licht ist.• Die Beschäftigung mit mir selbst ist unerlässlich für geistliches Wachstum.• Der Blick auf mich selbst kann mich zu Gott führen, der Blick auf Gott führt mich immer zumir selbst zurück.4.3 ÜbungDie Übung, zu der ich nun einladen möchte, liegt uns jetzt gleichsam auf der Hand.• Ich lade Sie ein zu einer Partnerübung, also jede/r braucht jemand anderen.• Wir setzen uns auf zwei Stühle, Rücken an Rücken.• Einer von beiden bekommt einen Spiegel in die Hand und schaut sich an. Der andere lässtdem Ersten Zeit, schaut auf die Uhr und wartet geschlagene fünf Minuten für eine stilleSelbstbetrachtung. Sich länger im Spiegel zu betrachten, ist nicht unbedingt leicht, manflüchtet gerne oder bricht ab, aber versuchen Sie sich getrost einmal diese langen fünfMinuten selbst anzuschauen.• Der Zweite liest dem Ersten dann den Text „Du bist ein Gedanke Gottes“ (s.u.) langsam Satzfür Satz vor als Zuspruch.• Die beiden Partner tauschen die Rollen.Vergiss es nie: Dass du lebst, war keine eigene Idee,und dass du atmest, kein Entschluss von dir.Vergiss es nie: Dass du lebst, war eines anderen Idee,und dass du atmest, sein Geschenk an dich.Vergiss es nie: Niemand denkt und fühlt und handelt so wie du,und niemand lächelt so, wie du's grad tust.Vergiss es nie: Niemand sieht den Himmel ganz genau wie du,und niemand hat je, was du weisst, gewusst.Vergiss es nie: Dein Gesicht hat niemand sonst auf dieser Welt,und solche Augen hast alleine Du.Vergiss es nie: Du bist reich, egal ob mit, ob ohne Geld;denn du kannst leben! Niemand lebt wie du.Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur,ganz egal, ob du dein Lebenslied in Moll singst oder Dur.Du bist ein Gedanke Gottes, ein genialer noch dazu!Du bist du, das ist der Clou, ja, du bist du!