<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>52ihre Befriedigung findet. Sie verzichtet auf das eigene Werk und löst ihre Anhänglichkeit anTugendwerke auf. Das Selbst zerbricht und die Seele beginnt, frei zu werden von sich selbst.“- Es ist bemerkenswert, hier mit Seitenblick auf die Benediktsregel einen Vergleich zu Fowlerund Spiraldynamiken zu vergleichen. Denn auch Porète ist keine Freundin von Regeln undInstitutionen und meint, dass man diese wie Krücken irgendwann hinter sich lässt. Aber siewirft diese nicht einfach hinter sich, sondern nutzt sie, um eine andere innere Haltung zu denguten Werken zu erreichen und um dadurch Jesus Christus nachzufolgen.• Vierte Stufe: Verliebtheit: „In der vierten Seinsweise wird die Seele hochgemut, fröhlich undleichtsinnig. Sie erlebt ein Glücksgefühl, ein Gefühl der Sättigung. Sie lernt die Trunkenheitder Liebe kennen! Diesen verführerischen Zustand will die Seele festhalten. Sie will nur nochihn gelten lassen und nicht wahrhaben, dass noch weitere Stadien zu durchlaufen sind.“ -Hier kommt Porète wohl zu dem für sie typischen Beitrag. Die Seele erlebt eine Liebe, eineMinne, sie ist begeistert und will diesen Moment festhalten.• Fünfte Stufe: Zwischen Lichtstrahl und Abgrund: „In der fünften Seinsweise erlebt die SeeleFreudenausbrüche zusammen mit ihrem Freund, dem grossmütigen, hinreissendenFernnahen. In einer blitzartigen Öffnung manifestiert sich der Ferne als Naher, alsAllernächster sogar. Dieser Lichtstrahl hinterlässt in der Seele einen unsagbar tiefen Frieden,einen Frieden über allen Frieden. In dieser Seinsweise betrachtet die Seele sich selbst undblickt in den tiefsten Abgrund. Sie erkennt ihre eigene Schlechtigkeit, die eigene Schwächeund Torheit, während dort, auf dem Gipfel des Berges, die göttliche Güte, Weisheit undMacht zu erkennen sind.“ - Viele, die im geistlichen Leben fortgeschritten sind, berichten vondiesen Glaubenserfahrungen, dass es die Zeiten gibt einer grossen Nähe zu Gott, aber auchdas Erlebnis einer grossen Gottesferne und Gottesnacht. Das erleben wohl alle, derenVerliebtheit erwachsen werden will.• Sechste Stufe: Glühen in Gottes Feuer: „In der sechsten Seinsweise wird die Seele befreit. Sieist ein Nichts, zunichte geworden, aber Gott wirkt in ihr. Er wirkt durch sie, aber ohne sie,denn Ich und Selbst existieren nicht mehr. Sie ist umgewandelt in das, was sie mehr liebt alssich selbst, schwimmt in einem Meer der Freuden, bis sie selbst nur noch Freude ist. Sie glühtim Schmelzofen des Liebesfeuers und wird selbst zu Feuer.“ In anderen Worten: Um ganz freizu werden für Gott, muss ich mich radikal von meinem Ego befreien. Der Gewinn dabei istLiebe, Freiheit, Freude.• Siebte Stufe: Post mortem: „Über die siebte Stufe, die hierauf folgt, können wir in unserermenschlichen Existenz nichts aussagen, denn wir erfahren diese Seinsweise erst, wenn dieSeele den Körper verlassen hat.“Wir tun uns sicherlich nicht gerade leicht damit, wie stark hier der eigene Wille hingegeben wird.Heute kann man sagen, dass man sein Selbst erweitern will, aber doch nicht reinigen und klären. Ichkann heute sagen, dass man Bewusstsein sich weiten soll, aber das sich auch das eigene Herz so weitweiten lassen soll, erscheint uns schwierig. Wir mögen das ausgleichend finden, wenn bei diesenSeinsstufen so stark wie sonst nirgends von einem Weg hin zur Liebe und zur Freiheit gesprochenwird. Die Stufen dieser Seinsweisen kommen uns besonders dort, wo vom Gottfernen oder vomGlühen im göttlichen Feuer die Rede ist, stark mystisch vor. Margareta Porète schlägt allemal einenWeg nach innen ein, der weniger noch als bei Benedikt von der Praxis des Zusammenlebens imKloster kommt, sondern stärker aus ihren eigenen Erfahrungen im persönlichen Gebet.Mertons Berg der sieben StufenIch habe lange Zeit geglaubt, der Trappistenmönch Thomas Merton habe mit seinem SelbstberichtDer Berg der sieben Stufen auch wirklich sieben Stufen beschrieben. Ich habe beim Lesen immerwieder die Zeilen gesucht, wo er mir sagt, was die eine, was die andere Stufe ist und woran icherkenne, dass ich ein Stück weiter gekommen bin. Aber eigentlich sagt er zu dieser Grundidee wenig.Ich lese eine der wenigen Stellen vor, an denen der seinen Stufenberg beschreibt:
<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>53„Ich war daran, den hohen, siebenstöckigen Berg eines Fegfeuers zu besteigen, der steilerund mühsamer war, als ich mir in der Phantasie vorstellen konnte, und ich hatte keineAhnung vom Aufstieg, der mich erst noch erwartete. Die Hauptsache war, dass ich einenAnfang machte. Diesen Anfang bildete die Taufe, ein hochherziges Geschenk Gottes wiekaum ein zweites.“ 11Der siebenstöckige Berg des Fegefeuers ist ein Bild, das bei Danteauftaucht. Dante beschreibt in der Göttlichen Komödie einensiebenstöckigen Berg des Fegefeuers, den die armen Seelenbesteigen müssen, um doch noch in den Himmel zu kommen: aufStufe eins büssen die Stolzen, auf Stufe zwei die Neider, auf Stufedrei die Zornigen, auf Stufe vier die Faulen, auf Stufe fünf dieHabsüchtigen, auf Stufe sechs die Masslosen, auf Stufe sieben dieWollüstigen. Dante beschreibt den Weg auf den Berg alsLäuterungsweg.Thomas Merton, literarisch sehr gut bewandert, greift dieses Bildvon Dante auf und sieht sich selbst als Büsser, denn bevor erMönch wurde, hat er ein ordentliches Lotterleben ohne Gottgeführt. Er kannte Gott einfach nicht, hatte sich nicht gross fürReligion interessiert. Und für ihn ist der Weg, der mit seiner Taufeals <strong>Erwachsen</strong>er beginnt ein Weg, auf dem er sich lösen muss vonseinem falschen Selbst, von seiner Eitelkeit, von seinen Ambitionen. Für ihn beginnt ein Weg, wo ersich etappenweise von Gott geführt weiss. Die Stufen sind für ihn einfach verschiedeneLebensetappen, die Gott ihn führt, die ganze Suchbewegung, ob er nun Lehrer oder Schriftstelleroder in der Tat Mönch oder sogar Priester werden soll. Auf diesem Weg schält sich für ihn immerdeutlicher heraus, wohin Gott ihn führt, zu seinem wahren Selbst.Merton mag dem heutigen Lebensgefühl insofern näher stehen, weil er dem Selbst einen hohenWert einräumt. Er unterscheidet einfach genau, was ein falsches Selbst ist, mit dem ich mich von mirselbst abbringe, oder eben das wahre Selbst, so wie Gott mich sieht. Er setzt also nicht bei denErfahrungen im Klosterleben an wie Benedikt, auch nicht bei den Erfahrungen im Gebetsleben wiePorète, sondern bei seinem eigenen Leben. Auf uns hin gewendet ist das gleichsam die Einladung zusehen, wo in meiner eigenen Lebensbiografie markante Punkte oder Bruchstellen sind, dieLebensphasen oder -etappen markieren. Wie hat Gott mich geführt? Wo hat Gott mir geholfen, meinfalsches Selbst abzulegen? Wo habe ich den Eindruck, dass Gott mir Chancen gibt, mein wahresSelbst zu finden.Wir haben einen Bogen geschlagen, angefangen von dem Sinn zielorientierter Selbstverbesserungund dem Jakob, dem alles im Schlaf geschenkt wird. Dann haben wir zahlreiche Stufenmodellegeistigen bzw. geistlichen Wachstums kurz gesehen. Dabei kommt es zu verschiedenenGemeinsamkeiten, auch zu manchen Unterschieden. So stehe ich schliesslich vor derHerausforderung, welche denn meine Stufen sind, jene, die ich schon bestiegen haben, und jene, diemich noch höher führen werden.Konkret• Ich kann wachsen, wenn ich will und wenn Gott hilft.• Ich muss nicht alles, nur das, was ich kann.11 Thomas Merton, Der Berg der sieben Stufen, 231.