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Dokument 2013 Erwachsen glauben

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<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>60Wir vergessen ja gerne manche Episoden aus der Kindheit. Die Autorin Christa Wolf hat dies einmalkurz zusammengefasst, was dieses Vergessen eigentlich bedeutet: „Das Vergangene ist nicht tot; esist nicht einmal vergangen. Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd.“ Das sind übrigens dieersten beiden Sätze ihres Buches Kindheitsmuster, indem sie akribisch die eigene Kindheit sowohl inNazideutschland wie DDR durchforstet, um immer wieder herauszuholen, wo sie denn dieseVerhaltensmuster gelernt hat. Fast erscheint es uns ja harmlos, wenn einem Kind gesagt wird, es solljetzt nicht immer mit seinen Fragen die <strong>Erwachsen</strong>en unterbrechen. Wenn das Kind dabei aber lernt,dass seine Neugierde unerwünscht ist, dann kann es sein, dass dies zu einem Verhaltensmuster wird.Dabei trennt sich das Kind von der eigenen Neugierde. Es sind solche Verhaltensstrategien, die demKind in der Kindheit helfen, den Eltern zu gefallen. Aber diese Kindheitsmuster können problematischwerden, wenn wir später einen <strong>Erwachsen</strong>en ohne Neugierde, ohne wache Interessen und ohneWissensdurst vor uns haben. Solche Verhaltensmuster sind in der Kindheit Hilfen oder gar eine ArtÜberlebensstrategie für Kinder. Wie gute Kumpel helfen sie einem weiter. Aber das nistet sich einund bleibt länger, als es für manche Kindheitsepisoden eben nötig wäre. Je erwachsener der Menschwird, desto mehr vergisst er, woher er als Kind seine Verhaltensmuster gewonnen hat.Christa Wolf beschreibt diese Abtrennung von dem Kind, das ich ja einmal war, so:„Nicht nur trennen dich von ihm (jenem Kind da; CW) die vierzig Jahre; nicht nur behindertdich die Unzuverlässigkeit deines Gedächtnisses, das nach dem Inselprinzip arbeitet unddessen Auftrag lautet: Vergessen! Verfälschen! Das Kind ist ja auch von dir verlassen worden.Zuerst von den anderen, gut. Dann aber auch von dem <strong>Erwachsen</strong>en, der aus ihmherausschlüpfte und es fertigbrachte, ihm nach und nach alles anzutun, was <strong>Erwachsen</strong>eKindern anzutun pflegen: Er hat es hinter sich gelassen, beiseite geschoben, verfälscht,verzärtelt und vernachlässigt, hat sich seiner geschämt und hat sich seiner gerühmt, hat esfalsch geliebt und hat es falsch gehasst.“ 14Das abgelehnte innere Kind empfindet sich als unzulänglich, schlecht, nicht liebenswert undentwickelt intensive Gefühle von Schuld und Scham. Es lernt, sich davor zu fürchten, dass dieMenschen es verlassen und zurückweisen. Dieses „ungeliebte Kind“ lebt in der ständigen Erwartungzurückgewiesen zu werden und projiziert diese Erwartung auf andere Menschen, unterstellt ihnen, espermanent abzulehnen.So kann beispielsweise geringfügige Kritik durch den Partner panische Angst auslösen, weil dasinnere Kind diese Kritik mit altbekannten Gefühlen von Angst vor Strafe und Zurückweisungverbindet, und eine an sich harmlose Situation kann unangemessen eskalieren.Der „lieblose <strong>Erwachsen</strong>e“, der das Kind nicht annimmt, verhält sich so, wie seine Eltern oder andereBezugspersonen ihn geprägt haben. Er handelt nach überholten Widerstandsmustern zum innerenKind, sie können beispielsweise heissen:• Ich kann mich selbst nicht glücklich machen, andere können das besser als ich.• Andere sind für meine Gefühle verantwortlich und ich bin für ihre verantwortlich.• Ich wäre egoistisch und falsch, wenn ich mich selbst glücklich machte.• Im Grunde meines Wesens bin ich schlecht.• Am besten ist es, Bedürfnisse nach Liebe und Zuwendung wegzuschieben.Viele Menschen haben beim Heranwachsen gelernt, den Zugang zu ihrem inneren Kind zu drosselnoder abzuschneiden, um bestimmte Gefühle nicht mehr fühlen zu müssen. Das Problem entsteht,weil es nicht möglich ist, nur die schlimmen Gefühle auszuklammern, sondern gleichzeitig der Zugangzu den positiven Gefühlen versperrt wird.14 Christa Wolf, Kindheitsmuster, 14.

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