<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>50suchen. Es geht nicht um ein Leistungsdenken, es geht nicht darum, eine heimliche Listeabzuarbeiten und mein Unternehmen so vorwärts zu bringen. Das verstellt eher geistlichesWachstum. Es geht viel eher darum, das zu entwickeln, was Gott längst in mich als Individuum, alssein geliebtes Kind hineingelegt hat. Und schliesslich geht geistliches Wachstum, von diesem Gott sozu lernen, dass ich ein Mensch einer übergrossen, göttlichen Liebe zu werden.Ich möchte drei Stufenmodell aus der christlichen Spiritualität nun vorstellen, die alle drei uns einegewisse Bandbreite aufzeigen. Ich gehe zunächst auf Abt Benedikt von Nursia ein, dann auf dieBegine Margareta Porète und dann auf den Trappistenmönch Thomas Merton.Benedikt: Stufen der DemutDen Weg der Heiligkeit als ein Weg mit verschiedenen Stufen zubeschreiben, hat eine ganz lange Tradition in der christlichenSpiritualität. Viele der frühen Mönche und Kirchenväter, Cassian,Augustinus, Klemens von Alexandrien wie Irenäus haben hierwichtige Impulse geliefert. Am stärksten und einflussreichsten hatdies der heilige Benedikt in seiner Mönchsregel ausgeführt.Benedikt von Nursia war ein Einsiedler und Abt. Er lebte in der Zeitdes Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter. In dieserZeit gründet er eine Klostergemeinschaft von Mönchen, und seineRegel wird wegweisend werden für die meisten späteren religiösenGemeinschaften. Benedikt übernimmt von Cassian, das der Wegder Heiligkeit ein Weg der Demut sein muss, mit dem ich den Tanzum das eigene Ich beende und mein Herz ganz an Gott binde. Derzwölfstufige Weg der Demut gilt als ein Herzstück der Benediktsregel. 101. Gottesfurcht2. Nicht nach Lust und Laune leben3. christusgemässer Liebesgehorsam4. Starkmut, Belastbarkeit, Ausdauer und Geduld im Kloster5. Eröffnung, Aussprache und Bekenntnis6. Anspruchslosigkeit und Dienstbereitschaft des Mönchs7. Verwurzelung der Demut im Herzen8. Anerkennung der bewährten Lebensform des Klosters9. Zurückhaltung in der Art des Sprechens und Schweigens10. Überlegte Worte11. Zurückhaltung beim ungehörigen Lachen12. Erreichung der geistgewirkten, furchtfreien LiebeDas ist ein Klassiker. Und wenn uns das ein oder andere auch überrascht oder seltsam anmutet, solässt uns dieses Stufenmodell doch erahnen, dass sich darin viele alltägliche Erfahrungen im Klosterniederschlagen. Benedikt und seine Mönche haben lange geübt und ausprobiert, bevor sie sich dieseRegel gegeben haben. Wenn ich in der Benediktsregel die Erläuterungen genauer lese und vielleichtauch noch zwischen den Zeilen stöbere, dann kommen viele kleine Alltagsanekdoten heraus. Ichgehe auf die fünfte und sechste Stufe zur Demut näher ein.Die Benediktsregel sagt zur fünften Stufe der Demut, dass der Mönch seinem Abt alle bösenGedanken und Taten anvertrauen soll und nicht verbergen soll. Angefügt sind einige Bibelstellen, dienicht nur das Bekenntnis mit Bibelstellen untermauert empfehlen, sondern darin auch eine Übung10 vgl. Die Benediktsregel. Eine Anleitung zu christlichem Leben; übersetzt und erklärt von Georg Holzherr,Freiburg 2005, 137.
<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>51sehen, um durch die Person des Abtes mein Vertrauen in Gott einzuüben. Darum folgt hier dasSchriftwort: „Eröffne dem Herrn deinen Weg und vertrau auf ihn!“ Dazu ist die rückhaltloseAussprache mit dem Abt ein bewährtes Mittel. Ich werde geistlich daran wachsen, wenn ich letztlichvor Gott alles auf den Tisch legen kann. Mein Vertrauen wächst dadurch - natürlich vorausgesetzt,der Abt nutzt dies nicht zur Kontrolle und ist des in ihn gesetzten Vertrauens vor Gott wert.Die Benediktsregel sagt zur sechsten Stufe der Demut, dass der Mönch mit der allergeringsten Arbeitzufrieden sein soll und sich für einen schlechten Arbeiter halten soll. In einem Kloster muss jemandhalt den Stall ausmisten oder die Klos putzen. Ich kann das mit Zufriedenheit tun, wenn ich michnicht für etwas Besseres halte. Wir mögen uns bei dieser Regel vorstellen, wie oft die Möncheuntereinander auch voll Neid aufeinander geschaut haben, wer jetzt welche Aufgabe übernehmendarf. Aber in einer Klostergemeinschaft geht es nicht darum, welche Arbeit ich mache, sondern dassich mit jeder Arbeit Zufriedenheit finde, weil ich für Gott arbeite. Auch bei der sechsten Stufe folgtdarum ein Bibelwort, damit ich mich als nützlicher, unverständiger Esel bei Gott einfinde: „Zu nichtsbin ich geworden und verstehe nichts; wie ein Lasttier bin ich vor dir und bin doch immer bei dir.“Wir leben nicht im Kloster, aber wir können solche Regeln eigentlich leicht in unseren Alltag daheimin der Familie, unterwegs im Beruf, auch in einer Pfarrei übertragen: Wo übe ich an meinenMitmenschen mein Vertrauen in Gott ein, indem ich einfach ehrlich bin? Wo bringe ich mich ein, alsGottes geliebter Esel, weil er mir diese oder jene Last gerade auferlegt? In der Benediktsregelschlagen sich viele alltägliche Erfahrungen nieder!Wir nehmen wohl auch hier die Grundtendenz wahr, dass es hier zunächst eigentlich bloss um dieDemut geht, aber dann doch auch um ein Ideal von Heiligkeit. Dieses Modell der Demutsstufendrängt sehr stark darauf, dass ich mir sage: Ich muss mich zurücknehmen, ich muss mich selbst nichtso wichtig nehmen, mein Selbst muss ich zurückstellen. Wir tun uns daran heute schwer. Aber ausdiesem Modell der Demutsstufen lässt auch dies herauslesen: <strong>Erwachsen</strong> zu <strong>glauben</strong> heisst auch soim <strong>glauben</strong> zu wachsen, dass mein Herz reift hin zu einer starken, gotterfüllten, alltagstauglichenLiebe. Ich muss das in meinem Alltag einüben.Margareta Porète: SeinsweisenMargareta Porète war eine französische theologischeSchriftstellerin im 13. Jahrhundert. Sie gehörte der religiösenBewegung der Beginen an. Als Autorin einer Schrift, die gewöhnlichmit dem Kurztitel Spiegel der einfachen Seelen zitiert wird, erregtesie Aufsehen. Auch sie bedient uns mit einem Stufenmodell. Siebenennt die Stufen als Seinsweisen, allerdings müssten wir heutewahrscheinlich eher von Bewusstseinszuständen reden.• Erste Stufe: Mühe der Gebote: „Im ersten Zustand wachtdie Seele über ihren Lebenswandel und bemüht sich, GottesGeboten zu folgen. Ihr Verhalten ist noch von Furcht und Mühegeprägt und es erscheint ihr mühselig und anstrengend, dieVorschriften und Weisungen einzuhalten.“ In anderen Worten: Ichhalte halt die Regeln ein, aber die wollen einfach keinen Spass machen.• Zweite Stufe: Tugenden tun: „In der zweiten Seinsweise geht sie über dieses Stadium hinaus.Verstärkt übt sie sich nun in Tugendwerken und befolgt das, was Gott seinen besonderenFreunden rät. Nach dem Vorbild Jesu Christi ist sie redlich bemüht, ihre Verstrickung inweltliche Freuden und Leiden zu lösen.“ In anderen Worten: Regeln geben mit Blick auf Gotteinen Sinn, und darum strenge ich mich an.• Dritte Stufe: Gutes lieben: „Den dritten Zustand hat die Seele erreicht, wenn sie nur noch dieWerke der Güte und der Vollkommenheit liebt und wenn sie in der Erfüllung dieser Taten