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Dokument 2013 Erwachsen glauben

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<strong>Erwachsen</strong> <strong>glauben</strong>35Verletzung, zum Zwang, zur Verdammnis. Es tönt so alltäglich normal, doch diese Spiegelbetrachtungendet ja sehr negativ.Was heisst es vor einem Spiegel zu stehen? Welches Verhältnis nehme ich zu mir selber ein? Diewenigsten Menschen treten vor den Spiegel und sind zufrieden. Andere Menschen treten vor denSpiegel und finden sich so toll, dass es auch schon wieder nicht stimmt. Das passiert häufig, obwohlwir auch um Folgendes wissen: Es kommt dabei meist gar nicht darauf an, ob das nun stimmt odernicht. Es kommt darauf an, ob ich das so empfinde. Aber im Sinne einer ehrlichen Selbsterkenntnisund einer positiven Selbstannahme würde ich mir ja wünschen, dass ich vor den Spiegel trete, diesedetailreiche Bestandsaufnahme mache und mir schliesslich sagen kann: „Ich bin o.k.!“Was eigentlich passiert, wenn es mir beim Blick in den Spiegelungemütlich wird, möchte ich anhand von zwei Liedern illustrieren.Das eine Lied ist vielen von uns bekannt, ein älteres Lied also vonMani Matter, und ich stelle den Text hier vor, ich lasse das Liedlaufen und ich lade Sie ein, für einen Moment innezuhalten undgenau zu beobachten, wie der Spiegel hier funktioniert:Bim coiffeur bin i gsässe vor em spiegel, luege dryund gseh dert drinn e spiegel wo ar wand isch vis-à-visund dert drin spieglet sech dr spiegel da vor mirund i däm spiegel widerum dr spiegel hindefürund so geng wyter, s'isch gsy win e länge korridori däm my chopf gwüss hundertfach vo hinden und vo vorisch ufgreit gsy i eier kolonne, z'hinderscht isch dr chopfi ha ne nümme gchennt, so chly gsy win e goofechnopfmy chopf, dä het sich dert ir wyti, stellet öich das vorverloren ir unäntlechkeit vom länge korridori ha mi sälber hinde gseh verschwinde, ha das gseham heiterhälle vormittag und wi wenn nüt wär gscheherchloepft han i mys muul ufgschperrt, da sy im korridorgrad hundert müüler mit ufgange win e männerchore männerchor us mir alei, es cheibe gspässigs gfüeles metaphysischs grusle het mi packt im coiffeurgstüeli ha d'serviette vo mer grissen, ungschore sofortdas coiffeurgschäft verla mit paar entschuldigende wortund wenn dir findet i sött e chly meh zum coiffeur gade chöit dir jitz verstah warum i da e hemmig haEr sitzt also in einem Friseurstuhl bei seinem Coiffeur, und er sieht im Spiegel den Spiegel auf deranderen Seite. Der Sänger hätte jetzt anders reagieren können. Er hätte diese faszinierende Weitebestaunen können. Er hätte gleichsam wie Kinder es tun sich hin und her bewegen können, umauszutesten, wie dieser Korridor aus Spiegeln sich verändert. Aber unser Sänger hat das Problem,dass er sich selbst sieht. Die Steigerung, dass er sogar von einem metaphysischen Gruseln singt, liegtwohl darin, dass er sich so oft und auch dann noch von allen Seiten sieht. In diesem Fall muss ich mirsagen: Ich ertrage mich nicht in dieser Vielzahl, in dieser Breite, so ganz. Und weil ich mich nichtertragen kann, bleibt mir nur die Flucht. Das Lied hat ja eine für Matter so typische lustige Pointe.Sein besonderer Witz strahlt ja durch. Aber eigentlich ist das Ende hier kein Happy End: Ich laufe vormir davon. So natürlich, wie wir dieses Lied lustig finden, so natürlich ist es auch, dass wir es schadefinden, wenn ein Mensch vor sich selbst davonläuft.Ich möchte ein zweites Lied vorstellen. Das ist eher der jüngeren Generation bekannt, ein eherjunges Lied auch. Bligg ist einer der bekannteren Schweizer Rapper, und auch er hat den Spiegel

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