52 <strong>Kommunal</strong>e Sommergespräche 2013Anders als vorgegeben, diskutierte die prominente Polit-Runde nichtüber „Chancen und Herausforderungen für den ländlichen Raum“, sondernüber direkte Demokratie und den Sinn der freien Mandate. Einesist deutlich: Wir brauchen wieder mehr sachlich objektive Informationund eine Bundesregierung, die sich was traut.Die Angst vor der Mündigkeitder Bürger, „richtig“ zu entscheiden,hindert die österreichischePolitik derzeit daran, direktdemokratischeElemente weiterauszubauen. Um die direkte Demokratierankten sich die unterschiedlichenMeinungen von PolitikwissenschafterThomas Hofer,Bundesrätin und Ausseer VizebürgermeisterinJohanna Köberl,WKÖ-Handelsobfrau BettinaLorentschitsch, dem ehemaligenSchweizerBundespräsidentenMoritzLeuenberger,Gemeindebund-PräsidentHelmutMödlhammersowie WirtschaftsministerReinhold Mitterlehner.Moderator Hans Bürger ging inmedias res, als er die Frage nachder Angst vor der mangelhaftenIntelligenz der Wähler stellte.Wähler sind nicht zudumm„Es gibt diese Angst auch in derSchweiz, und ich kann sie eigentlichnicht verstehen, nämlichden Unterschied, ob derBürger nur Wähler ist oder zuSachfragen Stellung nimmt.Man muss doch sehen, dass einepolitische Entscheidung nichtrein rational entsteht. JederMensch entscheidet auch emotional.Davor darf man keineAngst haben“, so der ehemaligeSchweizer Bundespräsident Leuenberger,der nach einer Abstimmungdes Publikums mit überwältigenderMehrheit spontanaufs Podium gebeten wurde.Denn eigentlich war auch seinAuftritt schon unvorhergesehen.Seiner Meinung nach würdenauch Nationalräte sehr oft nichtnach der besten Variante entscheiden,sondern nach der jeweiligenParteilinie.Bettina Lorentschitsch fordertmehr sachliche Informationenfür die Bürger bei wichtigen Entscheidungenein. So habe jenes„Abstimmungsbüchlein“ (oderbesser „Argumentationsbüchlein“),wie es in der Schweiz vorjeder Abstimmung gemeinsammit den Argumenten der Oppositiongemacht wird, auch bei derWehrpflichtbefragung gefehlt.Ich scheue das direkte Mandat nicht,gebe aber die Lage des ländlichenRaums zu bedenken. Die Mandatare vondort wären wieder im Hintertreffen.Johanna KöberlGrenzen der direktenDemokratie?Bundesminister Reinhold Mitterlehnerhält hingegen nichtsvon zuviel direkter Demokratie:„Es gibt auch Grenzen der Abstimmungen.Geht es um dieLadenöffnungszeiten beispielsweise,muss sich die Politik dieverschiedenen Seiten anhörenund einen Konsens zustandebringen. Und die Schweizer habenbei den direkten Entscheidungenauch so ihre Probleme.Die populistische Minarett-Debattehat das gezeigt, wo dieSchweiz dann international inschwierige Gewässer gekommenist.“Aber gerade diese langwierigeKonsensfindung stellte Loren -tschitsch in Frage: „Es ist nichtmöglich, niemandem weh zutun. Abstimmungen könntendazu verwendet werden, umTrends in der Bevölkerung zuerkennen. Die Menschen sindrealistischer und wirtschaftsfreundlicherals man denkt.“In diesem Zusammenhang verwiessie auf eine Umfrage unterArbeitnehmern zur sechstenUrlaubswoche, bei der diesekeine Mehrheit gefunden habe.Eine der wesentlichen Forderungenvon Thomas Hofer inseinem Vortrag, nämlich eineverstärkte Wahrnehmung desfreien Mandats in den LandesundBundesgremien, stieß beiMitterlehner ebenso auf wenigGegenliebe. „Es braucht eineeinheitliche Linie, Verlässlichkeitund Durchsetzbarkeit inder Politik. Außerdem: Wersagt, was wirklich eine freieEntscheidung und was dieWahrheit ist?“ Dass dies derzeitexistiert, wurde von vielen imHinblick auf mehr als 30 ergebnisloseVerhandlungsrundenbeim Lehrerdienstrecht angezweifelt.Mödlhammer sprachsich diesbezüglich dafür aus,dass die Hälfte der Landtagemit freien Mandaten besetztwerden könnte. Hofer stellteklar: „Die Mandatare solltenmit den Grundzügen der Parteien,für die sie antreten, konformsein, aber auch ihrer Region,in der sie gewählt wurden,verpflichtet sein und das beiAbstimmungen zum Ausdruckbringen.“Mödlhammer: „Wagenwir es!“Der Zug sollte in Richtungmehr Horizonterweiterung gehen,dass sich die Bürger mehrmit den Themen beschäftigen.Und wir müssen die Dinge vorherordentlich ausdiskutieren,bevor wir entscheiden.Reinhold MitterlehnerDass das System Schweizdurchaus Anreize für die österreichischePolitik bildet, warweitgehend Konsens. BundesrätinKöberl wies auf die unterschiedlicheKulturen hin: „Inder Schweiz gibt es eine jahrzehntelangeProbephase.“ Lorentschitschist dafür, das Systemder Schweiz nicht einfachabzukupfern. Auch HelmutMödlhammer sieht die österrei-
Ausklang<strong>Kommunal</strong>e Sommergespräche 2013 53„Es ist nicht möglich,niemandem weh zu tun.“Bettina Lorentschitsch zumlangwierigen Prozess derKonsensfindungchische Bundespolitik vor derWahl: „Entweder wir lassen allesso, wie es ist, oder wir ändernein bisserl was. Ich binklar für die zweite Möglichkeit.Wagen wir es!“ Vor allem beimThema Klubzwang wurdeMödlhammer deutlich: „DieseLösung des Dilemmas ist möglich,indem man das freie Mandatin der Wahlbewegung entsprechendpraktiziert. Die Hälfteder Mandate soll direkt erfolgen.Das wär’s.“Auf die Klage des Ministers,dass er bei Begegnungen mitden Bürgern ständig mit Wünschenkonfrontiert wird, für dieer nicht zuständig ist, mussteMödlhammer schmunzeln.„Wir Bürgermeister werden jedenTag mit Themen konfrontiert,für die wir nicht zuständigsind. Hier braucht es klareZuständigkeiten.“Dank an die Veranstalter: Aussees neuer Bürgermeister Franz Frosch (links),<strong>Kommunal</strong>kredit-Boss Alois Steinbichler (2. v. l.) Gemeindebund-ChefHelmut Mödlhammer (2. v. r.) und die illustre Gruppe der Diskutanten nehmenAufstellung zum offiziellen Schluss foto der „Achten <strong>Kommunal</strong>en Sommergespräche“.Wie gewohnt warviel Prominenz imZentrum Österreichs:Hier die ehemaligeJustizministerinKarin Gastinger(nunmehr beiPrice WaterhouseCooper) undWilhelm Pacherl,Bürgermeister vonObervellach.Zwei Neuerungen bei denSommergesprächen 2014Auch für die Zukunft nehmensowohl Mödlhammer als auch<strong>Kommunal</strong>kredit-Chef AloisSteinbichler zwei Sachen mit:„Wir werden die Jugendgemeinderätenächstes Jahr zuden <strong>Kommunal</strong>en Sommergesprächeeinladen und wir werdendie Themen vorher abfragen.Ganz direktdemokratischwird die Mehrheit entscheiden.“Wirkten etwas erleichtert, als die Sommergesprächezu Ende waren: HelmutMödlhammer und sein „General“ WalterLeiss, einer der maßgeblichen„Drahtzieher“ im Hintergrund.Die jüngste „Sommergesprächerin“:Alexandra Amerstorfer, Geschäftsführerinder <strong>Kommunal</strong>kredit Public Consulting(KPC), brachte ihre Tochter mitnach Bad Aussee.