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Quatsch oder Aufklärung?

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<strong>Quatsch</strong> <strong>oder</strong> <strong>Aufklärung</strong>?<br />

Neun-Uhr-Nachrichten auf BBC 1 lief. Deren politische<br />

Bosheit aber schwächte Carrell stark<br />

ab – auf ein für das deutsche Publikum gut<br />

erträgliches Maß an Gags. Politische Kritik lag<br />

nicht in der Absicht Carrells. Der stolpernde<br />

Verteidigungsminister Volker Rühe, Versprecher<br />

und ein Willy Brandt, der scheinbar auf<br />

Socken durchs Kanzleramt torkelte, prägten<br />

die Show. Heiner Geißler durfte Carrell einmal<br />

eine Torte ins Gesicht drücken und Norbert<br />

Blüm ihm „unbemerkt“ einen Eimer Wasser<br />

über den Kopf schütten. Im Februar 1987 sorgte<br />

Rudis Tagesshow sogar für einen handfesten<br />

internationalen Skandal, nachdem Carrell den<br />

iranischen Ajatollah Chomeini in einer Bildmontage<br />

scheinbar mit Damenunterwäsche<br />

bewerfen und ihn anschließend darin wühlen<br />

ließ. Carrell war ein akribischer Arbeiter, und<br />

seit Rudis Tagesshow gehört es zum Standard,<br />

dass zur Vorbereitung derartiger Sendungen<br />

systematisch alle Sender nach Bildschnipseln<br />

abgesucht werden.<br />

Nicht mehr nur als Nachrichtenparodie, sondern<br />

als thematisch breite Wochenrückschau<br />

war eine Talksendung angelegt, die Carrell später<br />

für RTL produzierte. Von 1996 bis 2005 lief<br />

7 Tage, 7 Köpfe mit wechselnder Besetzung freitags<br />

um 22.15 Uhr unter der Leitung von Jochen<br />

Busse. Rudi Carrell war Produzent der Sendung<br />

und wirkte zunächst als ständiger Gast in der<br />

halboffen angelegten Runde von sechs Talkern<br />

mit. Ein wirkliches Gespräch kam nie auf, die<br />

Sendung war vollständig durchkomponiert und<br />

gescripted. Gagschreiber und Gäste kämmten<br />

die Woche auf Witziges hin durch und fertigten<br />

daraus ein minutengenaues Drehbuch. Anfangs<br />

wirkten noch drei Journalisten mit (Hellmuth Karasek,<br />

Bärbel Schäfer, Milena Preradovic), was<br />

jedoch rasch zugunsten eines reines Comedy-<br />

Stammtischs aufgegeben wurde. Typisch wurde<br />

die pene trante Wiederholung von Stereotypen:<br />

So musste Kalle Pohl sich stets Zwergenwitze<br />

gefallen lassen, Bernd Stelter Anspielungen<br />

auf seine Körperfülle, Mike Krüger wurde wegen<br />

seiner Nase gehänselt, verwies auf seine<br />

schwere Kindheit und ärgerte seinerseits Rudi<br />

Carrell mit Wohnwagenwitzen. In der 200. Sendung<br />

am 20. Dezember 2002 gehörte Carrell<br />

zum letzten Mal zum Ensemble und wählte als<br />

seinen Nachfolger den Sat.1-Sportm<strong>oder</strong>ator<br />

Oliver Welke, dessen frühere Karriere als Radio-<br />

Comedian nur wenige kannten. Für Welke wurden<br />

die drei folgenden Jahre zu einer lehrreichen<br />

Zeit. Denn trotz der Stereotype war diese<br />

Sendung auch eine Talentschmiede: Michael<br />

Mitter maier, Stefan Raab und Eckart von Hirschhausen<br />

hatten hier frühe Gastauftritte.<br />

Comedy und Kabarett. Nachrichtenparodien<br />

gab es auch innerhalb der größeren Formate<br />

RTL Samstagnacht (1993-1998) und der<br />

Wochenshow auf Sat.1 (1996-2002), beides<br />

Comedyshows mit festem Ensemble für den<br />

späten Samstagabend, die im Grunde deutsche<br />

Adaptionen der US-Show Saturday Night<br />

Live waren. Stefan Jürgens und Esther Schweins<br />

lieferten kurze Pointen zu aktuellen Schlagzeilen,<br />

nachdem der RTL-Nachrichtenmann Hans<br />

Meiser auf einem Glockenspiel einen Jingle<br />

eingespielt hatte. Ins Repertoire gehörte stets<br />

die von Stefan Jürgens mit traurigem Tremolo<br />

vorgelesene absurde Meldung: „Karl Ranseier<br />

ist tot.“ Mal starb er als Schönheitschirurg an<br />

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