Quatsch oder Aufklärung?
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Lachen im Fernsehen<br />
Helge Schneider. Von ganz anderem Schrot<br />
und Korn und seinerseits schon eine Reak tion<br />
auf eine etablierte Unterhaltungsindustrie ist<br />
Helge Schneider (vgl. ebd.: 187 ff.; siehe z. B.<br />
Video [2]). Er dekonstruiert die geölte Maschinerie<br />
der Produktion von Gags, Filmen und<br />
Schlagern. Er ist ein Kind des Dada, versteht<br />
den von ihm produzierten Unsinn aber nicht<br />
als Diskursangebot. Er zielt nicht auf den Intellekt.<br />
Perfektion macht ihn skeptisch: „Ich habe<br />
mich nicht vorbereitet. Dann kann auch nichts<br />
schiefgehen.“ So torpediert er die Detailbesessenheit<br />
und Akribie der Generation Loriot. Vor<br />
allem aber ist er ein Meister der Verweigerung.<br />
Er verweigert, was doch eigentlich der Witz an<br />
der Sache ist – die Pointe. Alles strebt auf diese<br />
Spitze zu, doch die Erwartung verpufft. Auch<br />
das muss man erst einmal können. Stollmann<br />
beschreibt als Beispiel, wie Helge Schneider<br />
auf „Schachtelhalm“ zu sprechen kommt (ebd.:<br />
188). „Bitte, eine Schachtel Halm“ wäre der<br />
naheliegende Wortwitz. Gerade dieses Naheliegende<br />
verweigert Schneider: „Guten Tach,<br />
ich hätte gern zwei Päckchen Schachtelhalm.“<br />
Man muss die Pointe kennen, um sie nicht zum<br />
Zug kommen zu lassen. „Vor allen Dingen keine<br />
Pointen“, hatte Bert Brecht einst empfohlen,<br />
„sonst sind die Sachen gleich wertlos“ (ebd.:<br />
187). Gleichartig verfährt Helge Schneider mit<br />
dem Reim in seiner Lyrik. Es gibt ihn fast nur in<br />
der ganz dummen Form – Mutter reimt sich auf<br />
Butter, Frau auf Sau –, <strong>oder</strong> er wird vermieden.<br />
An Lautmalereien dagegen wie Fitzefatze <strong>oder</strong><br />
Katzenklo erfreut er sich wie ein Kleinkind.<br />
Und dessen Unmittelbarkeit bringt er damit<br />
zugleich auf die Bühne. Er nimmt die Form des<br />
Schlagers, entkleidet ihn aller großen Gefühle<br />
und verbrauchten Worte, um zu feiern, wie froh<br />
das Klo die Katze macht. Die infantile Erfahrung<br />
wird ins Recht gesetzt gegenüber der perfekten<br />
Form – geboren ist der Antischlager, der auf ein<br />
Publikum baut, das sich von der Mainstream-<br />
Unterhaltung bereits entfernt hat. Seit Helge<br />
Schneider ist die Pointenverweigerung eine<br />
gelernte Technik, wenn es darum geht, auch<br />
einen Kreis der „Eingeweihten“ 3 zum Lachen<br />
zu bringen.<br />
Rudi Carrell. Die Deutschen taten sich lange<br />
Zeit schwer damit, über Politik zu lachen <strong>oder</strong><br />
sich gar über Politiker lustig zu machen. Die<br />
Autorität der Politik spiegelt sich im Fernsehen<br />
in der strengen Form der Nachrichtenübermittlung.<br />
Der Erste, der spürte, dass die Zeit reif sei,<br />
daraus Witz zu schlagen, war der Fernsehprofi<br />
Rudi Carrell. Am 12. Oktober 1981 wurde montags<br />
um 22 Uhr erstmals die Sendung Rudis<br />
Tagesshow (siehe z. B. Video [3]) ausgestrahlt.<br />
Mit einer einjährigen Unterbrechung 1984 lief<br />
sie bis zum März 1987. Das halbstündige wöchentliche<br />
Format verballhornte die wichtigste<br />
Nachrichtensendung zu einer Show mit Einspielfilmen<br />
und Sketchen. Carrell selbst nahm<br />
die straffe Haltung des Sprechers ein, der alles<br />
Wichtige ernst vom Blatt ablas. Vorbild war die<br />
Sendung Not the Nine O’Clock News, die auf<br />
BBC 2 freitags parallel zu den tatsächlichen<br />
3 Kein Wunder, dass seine TV-Laufbahn als Sidekick von Reinhold Beckmann in der experimentellen „Off-Show“ des<br />
WDR begann, einer zweistündigen Live-Sendung, die am 20. Januar 1990 startete und es insgesamt auf nur neun<br />
Ausgaben brachte.<br />
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