Quatsch oder Aufklärung?
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Die heute show in der ersten Jahreshälfte 2016<br />
im Konstruktionsprinzip etwas schlichter, aber<br />
auch klarer. Die Verteidigungsministerin wird<br />
zur „Cyber-Uschi“, der Außenminister zum Besuch<br />
in Mali als „weißer Massai“ verkleidet,<br />
während beim Landwirtschaftsminister der<br />
Wortwitz schon mal nur lautet: „Schmidt happens“.<br />
„Mal verliert man, mal gewinnen die anderen“<br />
– dieser Spruch wird der unterlegenen<br />
CDU-Spitzenkandidatin Julia Klöckner nach<br />
der Landtagswahl verpasst, und auf einem ihrer<br />
Plakate muss die Linkspartei lesen: „Die<br />
Wähler sind nicht weg, sie sind nur woanders.“<br />
Bei der Herstellung der Grafiken schöpfen<br />
die Autoren vor allem aus einem Fundus von<br />
Lied-, Buch- und Filmtiteln, Namen von TV-Sendungen<br />
und Sprichwörtern. Auf Erdogan werden<br />
alle Varianten angewendet. Mal erscheint<br />
er im Filmplakat „Die wunderbare Welt der Amnesie“<br />
(3.6.), dann auf Tommy Jauds Buchcover<br />
als „Voll-Despot“ (20.5.); er feiert den „Tag der<br />
offenen Diktatür“ (20.5.) <strong>oder</strong> es heißt „Einmischen<br />
Impossible“ (15.4.) bzw. „Schön die<br />
Presse polieren“ (15.4.).<br />
Was aus welcher Kategorie stammt, kann<br />
sich der Leser bei den Sprüchen zu VW: „Das<br />
Leben ist kein Boni-Hof“ (15.4.) und „An Tagen<br />
wie Diesel“ (22.4.) ebenso erschließen wie die<br />
Worte zur Partei Alfa: „No Wähler for Old Men“<br />
<strong>oder</strong> zu den Panama-Papieren: „Melodien für<br />
Millionen“. Es heißt aber auch: „Alarm für<br />
Opa 11“, „Bauer wählt Frau“, „Mord ist sein<br />
Hobby“, „Satire suchen ein Zuhause“, „The Old<br />
and the Furios“ <strong>oder</strong> „Kevin alleinerzogen zu<br />
Hause“. Aber auch vor „Rheinland-Filz“ <strong>oder</strong><br />
einer „Sächsismus-Debatte“ macht die heute<br />
show nicht halt.<br />
Einen Narren gefressen hat die Redaktion<br />
offenbar am Label „Integrier mir“, das mehrmals<br />
eingesetzt wurde, und an Varianten eines<br />
etwas vulgären Sex-Spruchs: „Dumm<br />
schwimmt gut“ (29.4.), heißt es zu einem<br />
Wahlspot der FPÖ-Jugend, der eine Bikini-<br />
Schönheit zeigt; „Dumm strickt gut“ (20.5.) zu<br />
einem etwas verunglückten Bild von Europa als<br />
Strickpullover; „Dumm kickt gut“ (3.6.) zu einem<br />
alten NPD-Wahlspot gegen Dunkelhäutige<br />
in der Nationalmannschaft.<br />
Die Einspielfilme und O-Töne sind Entdeckungen.<br />
Für sie spricht also in der Regel der<br />
Wert des Dokumentarischen. Umso größer ist<br />
oft die Verblüffung, dass es so etwas tatsächlich<br />
gibt, das Vergnügen am Missgeschick der<br />
Autoritäten <strong>oder</strong> das Kopfschütteln über die<br />
Dummheit der Mitmenschen. Die „Kacheln“<br />
dagegen sind „gemacht“, gewollt konstruiert.<br />
Im Idealfall müssen sie also doppelbödig sein<br />
und einen Hintersinn haben, den sich der Zuschauer<br />
erschließen kann. Er lacht, wenn er<br />
das Konstruktionsprinzip verstanden und die<br />
Referenz erkannt hat. Findet er diese dann<br />
treffend, schlagartig evident <strong>oder</strong> symbolisch<br />
passend, ist sein Lachen immer auch eine<br />
Zustimmung zum Können der Macher, die er<br />
im gegenteiligen Fall aber ebenso schnell als<br />
fad, ideenlos <strong>oder</strong> blöd verwerfen kann. Die<br />
Lachwahrscheinlichkeit ist beim besonderen<br />
Fundstück, das aus der großen Abfallhalde des<br />
Fernsehens geborgen wurde, meist größer als<br />
bei der zur „Kachel“ verdichteten Kombination<br />
von Grafik und Spruch. Die heute show setzt auf<br />
dieses temporeiche Risiko.<br />
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