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Quatsch oder Aufklärung?

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<strong>Quatsch</strong> <strong>oder</strong> <strong>Aufklärung</strong>?<br />

da ein kindliches Erstaunen, glücklicherweise,<br />

aber vielleicht unverdient noch einmal davongekommen<br />

zu sein.<br />

Loriot. Zu den Vaterfiguren gehört auch<br />

Loriot (vgl. Stollmann 2010: 167 ff.), der als<br />

Karikaturist beim stern begann, bevor er zum<br />

prägenden, akribisch arbeitenden Fernsehunterhalter<br />

wurde. Loriot wahrt stets die Form,<br />

aber darunter brodelte es. Ob in der Wanne<br />

<strong>oder</strong> beim Streit um den Kosakenzipfel – immer<br />

geht es höflich zu. Die Themen von Loriot<br />

sind weit gestreut – von der Ehe über Politik<br />

und Fernsehen, Filmkritik, Weihnachten bis zur<br />

Tierliebe –, aber immer geht es um die Schulung<br />

des Publikums darin, Höflichkeit und<br />

Konformismus voneinander unterscheiden zu<br />

lernen. Der berühmte Sketch „Das schiefe Bild“<br />

könnte als „Tücke-des-Objekts“-Klassiker<br />

durchgehen, allerdings nähert sich Loriot dem<br />

Objekt nicht als Tolpatsch <strong>oder</strong> Ausgelieferter,<br />

sondern als Pedant, der sich in seiner eigenen<br />

Ordnung verfängt. Die Übereinstimmung mit<br />

der äußeren Ordnung setzt „die Kettenreak tion<br />

einer negativen Akrobatik der Verwüstung“<br />

(ebd.: 173) in Gang. Deswegen kommt es bei<br />

Loriot auf Feinheiten an, auch wenn er zum<br />

Zwecke der Typisierung schauspielerisch oft<br />

arg chargierte. „Was im Witz die Pointe ist, ist<br />

bei Loriot immer wieder das Detail“ (ebd.: 168).<br />

Die Nudel, das Entchen in der Badewanne und<br />

erst recht der Kosakenzipfel, die Namensgebung<br />

Hildegard <strong>oder</strong> das Gericht „Backobst mit<br />

Gürteltierklößchen“ sind nicht Zufall, sondern<br />

wohl durchdacht. Zumindest der Unterschied<br />

von Detailtreue und Schluderei steht seit Loriot<br />

Unterhaltern wie Publikum vor Augen.<br />

Otto Waalkes. Krachend in die Phalanx<br />

der Väter brach als erster Sohn Otto Waalkes<br />

(ebd.: 182 ff.) ein. Er hüpft herum wie ein<br />

verhaltensauffälliges Kind und arbeitet sich<br />

überhastet an einer ganzen Parade von Autoritäten<br />

ab. Seine bevorzugte Technik ist die<br />

Parodie. Bei Otto wimmelt es nur so von Lehrern,<br />

Hausmeistern, Reportern, Wissenschaftlern,<br />

Ärzten, Priestern, Förstern, Polizisten<br />

und Uniformierten aller Art. Um sie der Lächerlichkeit<br />

preiszugeben, schlüpft er in ihre<br />

Rollen. Autoritäten des Fernsehens wie Nachrichtensprecher<br />

<strong>oder</strong> die Prediger des „Worts<br />

zum Sonntag“ gehören ebenso in diese Reihe<br />

wie die ins Absurde driftende Werbung für<br />

„Bärenmarke“ <strong>oder</strong> Kaffee. Waalkes’ Autoren<br />

(Robert Gernhardt, Pitt Knorr und Bernd Eilert)<br />

entstammen der sogenannten „Neuen<br />

Frankfurter Schule“, die ja ihrerseits wiederum<br />

eine Parodie der streng kulturkritischen<br />

„Frankfurter Schule“ um Max Horkheimer und<br />

Theodor W. Adorno ist. Otto Waalkes ist der<br />

Bewegungsclown, der parallel zur Protestbewegung<br />

aufbricht, um nicht nur einzelne<br />

Autoritäten, sondern das Prinzip Autorität als<br />

solches zu erschüttern. In einem seiner populärsten<br />

Sketche allerdings setzt sich das Realitätsprinzip<br />

durch. Man könnte das sogar als<br />

demütige Unterwerfung deuten – aber es ist<br />

komplizierter: Der Kampf zwischen Lustprinzip<br />

und Realitätsanpassung wird ins Innere<br />

des Menschen verlagert, wo Organe und Großhirn<br />

miteinander streiten. Am Ende steht die<br />

versöhnliche Einsicht, dass Gewalt zwar sinnlos<br />

ist, Gewaltverzicht aber auch nur schwer<br />

zu praktizieren.<br />

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