Quatsch oder Aufklärung?
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Journalismus und Satire – Blick in die Zukunft<br />
Eine Funktion des satirischen Umgangs mit<br />
Politik kann es sein, verbreitetem Unmut lediglich<br />
„ein Ventil, um gesellschaftlichen Frust<br />
abzubauen“ (Porzelt 2015), anzubieten. Auch<br />
Bernhard Pörksen sieht in dem Genre vor allem<br />
„eine Therapie für den Augenblick, eine Erlösung<br />
für den Moment, die sich dem abrupten<br />
Perspektivwechsel und dem Kollaps der gerade<br />
noch gültigen Kontexte verdankt“. Deshalb<br />
warnt er: „Eine solche Simulation trägt nur für<br />
den Moment“ (Pörksen 2013). Vielleicht bedeutet<br />
es aber auch eine Überforderung der<br />
Satire, hohe Erwartungen hinsichtlich nachhaltiger<br />
<strong>Aufklärung</strong> zu hegen. Satire ist substanziell<br />
etwas anderes als Karneval <strong>oder</strong> der<br />
Starkbieranstich auf dem Münchener Nockherberg,<br />
der vor allem der Selbstpräsentation der<br />
Politiker dient, die sich hier der Welt als freundliche<br />
Menschen darstellen, die über die Fähigkeit<br />
verfügen, über sich selbst zu lachen, und<br />
so jeder satirischen Anspielung schon vorab<br />
den Giftzahn ziehen. Zu einem derartigen einverständlichen<br />
Hofnarrentum lassen sich die<br />
untersuchten Satiresendungen im deutschen<br />
Fernsehen nicht degradieren.<br />
„Bloß weil ironisch, aggressiv, spöttisch<br />
über Politik gesprochen wird, heißt das ja nicht,<br />
dass es um nichts ginge in der Politik“, weist<br />
Claudius Seidl noch einmal auf das Wesen der<br />
Satire hin: „Wäre die heute show sachlich, abgewogen<br />
und respektvoll, dann wäre sie eine<br />
Nachrichtensendung“ (siehe Interview Seidl im<br />
Anhang). Hans Zippert definiert: „Eine Satiresendung<br />
muss respektlos/unsachlich und vor<br />
allem einseitig sein“ (siehe Interview Zippert<br />
im Anhang). Das sieht Hugo Müller-Vogg exakt<br />
andersherum. Für ihn ist die heute show<br />
„der Beitrag des ZDF zur Förderung von Politikverdrossenheit“.<br />
Was ihn besonders wurmt:<br />
„Man muss von Politik nichts verstehen, um<br />
mit lachen zu können“ (siehe Interview Müller-<br />
Vogg im Anhang). Keineswegs gleichlautend,<br />
sondern nur ähnlich argumentiert Benedikt<br />
Porzelt, wenn er auf den hybriden Charakter der<br />
heute show aus Kabarett und Comedy hinweist:<br />
„Die Scherze werden auch von jenen Zuschauern<br />
verstanden, die sich primär unterhalten<br />
lassen wollen <strong>oder</strong> nicht über das nötige Hintergrundwissen<br />
verfügen, um alle politischen<br />
Anspielungen zu verstehen“ (Porzelt 2015).<br />
Diese Diagnose stimmt mit den in Kapitel 3<br />
erarbeiteten Resultaten dieser Studie überein.<br />
Es unterscheidet die heute show vor allem von<br />
der Anstalt, dass sie für verschiedene Publika<br />
mit unterschiedlichem politischem Wissen<br />
anschlussfähig ist. Wo der eine nur brüllend<br />
lacht, weil er die Merkel-Darstellung als „Puffmutter“<br />
so skurril findet, versteht der andere,<br />
dass es bei der „Aus-Puff-Mutter“ tatsächlich<br />
darum geht zu kritisieren, wie die Bundesregierung<br />
sich gegenüber der Autoindustrie<br />
prostituiere.<br />
Gerade der Perspektivwechsel, den die<br />
heute show oft praktiziert, mag – wie Pörksen<br />
vermutet – ein zu wenig nachhaltiger Beitrag<br />
zur Bewusstseinsbildung sein, regt aber oft<br />
auch zu einem tieferen Verständnis an. Beispielhaft<br />
mag hierfür die „Armenien-Resolution“<br />
des deutschen Bundestages stehen, die<br />
von der heute show energisch zur Thematisierung<br />
der deutschen kolonialen Vergangenheit<br />
genutzt wurde.<br />
Man muss Politik<br />
nicht verstehen,<br />
um mitlachen zu können<br />
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